Seit diesem Jahr können Gemeinden einfacher Tempo-30-Zonen einrichten. Zudem befeuern neuste Studien von VCS und TCS die Debatte. Über Sinn und Unsinn der Verkehrsmassnahme wird aber seit Jahrzehnten gestritten.
Dorothea Schaffner doziert an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten angewandte Psychologie. Sie hat unter anderem eine Arbeit mitverfasst, welche die Akzeptanz von Tempo 30 untersucht hat. Tempobeschränkungen seien immer ein emotionales Thema, so die Psychologin, denn das Auto stehe seit jeher für «Freiheit».
Daher werde jegliche Einschränkung beim Fahren als Eingriff in die eigene Freiheit empfunden. Das gelte grundsätzlich für alle Strassenverkehrsvorschriften, sagt «Tempo 30»-Expertin Schaffner – «aber umso mehr bei Tempobeschränkungen». Denn bei der Geschwindigkeit wolle der Mensch die Kontrolle über das eigene Verhalten behalten.
Das Auto steht für Freiheit.
Ein Rotlicht, ein Stoppsignal oder eine Vortrittsregelung respektiere man hinter dem Steuer, weil das Missachten unmittelbare und gar gefährliche Folgen haben kann. «Beim Tempo aber glauben viele Autofahrerinnen und Autofahrer selbst zu wissen, welche Geschwindigkeit jeweils angemessen ist. »
Ist beispielsweise eine Strasse leer, werde Tempo 30 als schikanös empfunden, ist die Strasse belebt, sind Kinder unterwegs, akzeptiere man das Langsamtempo, so Schaffner.
Dauerbrenner Höchstgeschwindigkeit
Seit es Autos gibt, wird darüber diskutiert, wo man wie schnell fahren soll und darf. Besonders hoch gingen die Wogen in den 1980er und 1990er Jahren. Aus ökologischen Gründen wurde in der Schweiz das Tempo ausserorts auf 80 und auf Autobahnen auf 120 gesenkt.
Als Antwort auf diese Grüne Welle der 80er entstand die Autopartei. Und bald wurde auch über Tempo 30 diskutiert, als in den späten 1980er Jahren erste Städte in der Schweiz dieses einführen wollten.
In einer Ausgabe der «Arena» des Schweizer Fernsehens vor 30 Jahren, zum Thema Tempo 30, standen sich der damalige zuständige Zürcher Stadtrat und Verkehrspolitiker Ruedi Aeschbacher (EVP) und Michael E. Dreher, Präsident der Autopartei gegenüber. Drehers Partei bekämpfte zusammen mit seiner Autopartei Aeschbacher und seine Verkehrsberuhigungspolitik. Die Wogen gingen schon damals sehr hoch.
«Schwellen-Ruedi», wie der Zürcher Politiker von seinen Gegnern wegen der Beruhigungsmassnahmen – eben diesen Schwellen – auch genannt wurde, setzte sich durch. Zürich war 1991 einer der ersten Schweizer Städte, die den Individualverkehr mit verschiedenen baulichen Massnahmen beruhigte und Tempo 30 einführte. Schneller war nur noch Winterthur. Dort wurde bereits 1990 die schweizweit erste Tempo-30-Zone in einem Wohnquartier eingeführt. Danach folgten in den 1990er Jahren praktisch alle grösseren Deutschschweizer Städte mit der Einführung von Tempo 30 Zonen. Mittlerweile ist Tempo 30 auch in Kleinstädten und Dörfern Standard.
Strassenführung – je unübersichtlicher, desto besser
Was es braucht, damit Autofahrerinnen und Autofahrer langsame Geschwindigkeiten besser akzeptieren, hat Psychologin Schaffner in einer 150-seitigen Studie zusammen mit dem Bundesamt für Strassen Astra und anderen Fachleuten untersucht (siehe Link).
Was braucht es, damit langsam gefahren wird?
Der Bericht zeigt auf, dass mit Gestaltungselementen auf Quartier- oder Nebenstrassen Autofahrerinnen und Autofahrer zu langsamen Fahren animiert werden können. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Bei einer Testfahrt durch Olten zeigen sich zahlreiche dieser Gestaltungselemente: Beispielsweise Strassen ohne Mittelstreifen, versetzte Parkplätze, Begrünung – gar Bäume inmitten der Strasse. «All das führt zu weniger Übersichtlichkeit und so paradox es tönt, zu mehr Sicherheit», sagt Schaffner, denn es werde so langsamer gefahren.
Nächster Schritt – generell Tempo 30 innerorts?
Derzeit wird diskutiert, generell Tempo 30 innerorts einzuführen, wie es bereits mehrere Städte in Europa kennen. Der Schweizerische Städteverband will zwar auch in diese Richtung gehen, sieht aber vor, dass auf Hochleistungsstrassen auch innerorts weiter Tempo 50 gelten soll. Auch zwei neue Umfragen zum Thema befeuern die Diskussion. So kommt eine Studie des Verkehrsclubs der Schweiz VCS zum Schluss, dass Nachteile für den ÖV bei «generell 30» innerorts vernachlässigbar seien.
Demgegenüber hat der Automobilverband TCS eine repräsentative Umfrage veröffentlicht, die aufzeigt, dass selbst Städterinnen und Städter generell Tempo 30 innerorts ablehnen. Zusätzlich für Gesprächsstoff sorgt ein Bundesratsentscheid zu Tempo 30. So können Behörden seit diesem Jahr Tempo-30-Zonen einfacher einführen. Für die Schaffung dieser Zonen braucht es kein Gutachten mehr. Allerdings hält der Bundesrat auch fest, dass auf verkehrsorientierten Strassen innerorts grundsätzlich Tempo 50 gelten soll. Der Kampf pro und contra Tempo 30 geht also weiter.