Die Vorgänge sind mittlerweile bekannt: In grossen Unternehmen weiss die Konzern-Führung oft bereits Tage im Voraus, wie die Grossaktionäre abgestimmt haben. Bei der Zürich Versicherung etwa wusste die Führung bereits drei Tage vor der Generalversammlung Anfang April, wie das Resultat sein würde.
Bei Nestlé werden die delegierten Stimmen gleich im Hause ausgezählt, und bei Novartis werten ehemalige Angestellte die Stimmrechte auf dem firmeninternen Campus aus, wie die Rundschau enthüllte.
Wirtschaftsrechtler hält Praxis für illegal
Eine zentrale Rolle spielt dabei der unabhängige Stimmrechtsvertreter. Dieser vertritt oft gegen 99 Prozent der Aktionäre – und gibt Abstimmungstendenzen bereits vorab dem Verwaltungsrat bekannt.
Der unabhängige Stimmrechtsvertreter ist Vertrauensperson der Aktionäre und nicht des Verwaltungsrats
Diese Praxis ist für Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern, illegal: «Der unabhängige Stimmrechtsvertreter ist Vertrauensperson der Aktionäre und nicht des Verwaltungsrats», sagt er. Wenn der Verwaltungsrat jedoch vom Stimmrechtsvertreter Vorabinformationen bekomme, habe er einen Informationsvorsprung, der die Integrität der Generalversammlung in Zweifel ziehe. Vor diesem Hintergrund sei dies schlicht nicht zulässig.
Es geht um viel
Die UBS will sich nicht dazu äussern, ob die Bankleitung vorab über die Stimmabgabe informiert wird. Auf Anfrage weicht die Bank aus: «Die Gleichbehandlung der Aktionäre ist zu jedem Zeitpunkt vor der Generalversammlung gewährleistet.» Es erfolge weder durch den unabhängigen Stimmrechtsvertreter noch durch die Gesellschaft zu irgendeinem Zeitpunkt ein Eingriff in die Aktionärsrechte gemäss Schweizerischem Obligationenrecht, heisst es von seiten der UBS.
Dass die Aktionäre der Bankführung die Entlastung verweigert haben, zeigt: es geht um viel. Das spüren Stimmberater, die Pensionskassen beraten und für sie abstimmen. Die Stiftung Ethos empfahl, Vergütungen und Décharge abzulehnen. Daraufhin forderte die UBS den Ethos-Geschäftsführer Vincent Kaufmann auf, den detaillierten Bericht herauszurücken, was dieser ablehnte.
Ethos wolle vermeiden, dass «Unternehmen Druck auf unsere Analysten, auf unsere Kunden und auf Investoren ausüben. Wir wollen unabhängig von Unternehmen bleiben», sagt Kaufmann.
Verwaltungsrat kann intervenieren
Dieser Wunsch kommt nicht von ungefähr. Denn weiss ein Verwaltungsrat vorab, wie abgestimmt wird, könnte er versucht sein, zu intervenieren. Natürlich sei der Verwaltungsrat an solchen Informationen interessiert, betont Wirtschaftsrechtler Kunz. «Wenn er diese Informationen einige Tage vor der Generalversammlung hat, kann er allenfalls Einfluss nehmen, etwa indem er Medien Interviews gibt oder auf gewisse Grossaktionäre zugeht», so Kunz.
Das Problem: Der Wille des Aktionariats werde missachtet, wenn der Verwaltungsrat kurz vor der Versammlung reagiert. So geschehen vor zwei Jahren, als der Chef der Credit Suisse nach heftiger Kritik kurz vor der Generalversammlung freiwillig seinen Bonus kürzte. Die Konzernspitze ahnte wohl, dass die Aktionäre den Vergütungsbericht sonst ablehnen könnten.
Je umstrittener eine Generalversammlung, umso wertvoller ist es also für die Konzernspitze, das Abstimmungsergebnis vorab zu kennen – nicht immer im Einklang mit den Interessen der Aktionäre.