Für US-Präsident Joe Biden ist der erste internationale Demokratiegipfel an diesem Donnerstag und Freitag ein aussenpolitisches Prestigeprojekt. Doch viele Regierungen, die nicht eingeladen wurden, schiessen scharf gegen das virtuelle Gipfeltreffen – vor allem China und Russland. Eingeladen ist hingegen die Schweiz: Sie wird von Bundespräsident Guy Parmelin vertreten.
SRF News: War es für die Schweiz von vornherein klar, dass sie Bidens Einladung annimmt?
Guy Parmelin: Für mich ist es klar, war es immer klar, dass die Schweiz mit ihrer einzigartigen Demokratie an diesem Gipfel teilnimmt. Wir haben mit unserer Geschichte und unserer Erfahrung viel beizutragen. Und in unserer Verfassung steht, dass wir die Demokratie fördern wollen. Dafür bietet dieser Gipfel eine gute Gelegenheit.
Finden Sie diesen Demokratiegipfel sinnvoll, den ersten internationalen Demokratiegipfel überhaupt?
Ich finde es gut, dass sich demokratische Länder zum Thema Demokratie austauschen. Die Schweiz hat dazu viel zu sagen, dank ihrer 700-jährigen demokratischen Geschichte und mit einer direkten Demokratie seit 1848. Wir verfügen also über eine reiche Erfahrung. Auch mit unseren Wahlen und mit Abstimmungen etwa alle vier Monate, die von uns Grundsatzdiskussionen über zentrale politische Anliegen erfordern. Ich denke, es ist gut und wichtig, solche Erfahrungen mit anderen Ländern zu teilen.
Trotz unterschiedlicher Kulturen haben wir in der Schweiz den gemeinsamen Willen, nach selbstgewählten demokratischen Regeln zusammenzuleben.
Sie sagen es, die Schweiz ist eine alte und etablierte Demokratie. Was wird aus dieser Perspektive Ihre Botschaft an die Gipfelteilnehmer und damit auch an die Weltöffentlichkeit sein?
Dass man gelegentlich unterschätzt, wie sehr die Demokratie soziale Stabilität, Frieden und Gerechtigkeit bringt. Ausserdem Freiheit, und, gerade als Schweizer muss man das sagen, auch Wohlstand. Das sind Fakten. Trotz unterschiedlicher Kulturen haben wir in der Schweiz den gemeinsamen Willen, nach selbstgewählten demokratischen Regeln zusammenzuleben. Die Deutschschweiz, die Romandie, das Tessin: Diese Vielfalt ist eine grosse Stärke. Sie ermöglicht auch Kreativität und Innovation.
US-Präsident Joe Biden organisiert diesen Gipfel, weil er sehr besorgt ist um die Demokratie, weil er sie weltweit bedroht sieht und befürchtet, dass autoritäre Regime immer mehr die Oberhand gewinnen. Teilen Sie diese Sorge?
Ja, absolut. Wir sehen, dass die Demokratie in manchen Teilen der Welt unter Druck steht. Gemäss den Erhebungen der Denkfabrik Freedom House sinkt der Grad der Demokratie jedes Jahr weltweit – und das nun schon 15 Jahre in Folge. Rund 75 Prozent der Menschen leben in Ländern, die nicht oder nur teilweise demokratisch sind.
Genau diese Länder und deren Regierungen sind zum Demokratiegipfel nicht eingeladen. Kann ein solcher Gipfel trotzdem Einfluss auf diese Regierungen haben? Oder werden sie einfach in Trotzhaltung gehen und sagen: Interessiert uns alles nicht?
Das ist natürlich schwierig abzuschätzen. Aber ich hoffe schon, dass dieser Gipfel grundsätzlich einen positiven Einfluss hat. Wir müssen uns für die Demokratie engagieren, das ist ein bisschen unsere Mission. Damit engagieren wir uns für etwas und nicht gegen andere. Wir wollen aufzeigen, dass Demokratie einen positiven Einfluss auf das wirtschaftliche Wachstum und auf das friedliche Zusammenleben hat. Also, dass sich Demokratie lohnt.
Ich hoffe, dass die Diskussion etwas auslöst. Aber man darf nicht zu viel erwarten.
Eine wichtige Botschaft des Gipfels soll ja auch sein, dass alle Staaten ihre Hausaufgaben machen. Auch wir in der Schweiz müssen unsere Demokratie pflegen und erneuern. Wir sind auch nicht perfekt. Nur ein Beispiel: Erst seit 1971 haben bei uns die Frauen das Stimmrecht – das kam doch ein bisschen spät.
Haben Sie konkrete Erwartungen an diesen Gipfel?
Es ist das erste Mal, dass er stattfindet. Es ist gut, dass deshalb nun überall die Demokratie thematisiert wird. Manche äussern sich dafür, andere dagegen. Ich hoffe, dass die Diskussion etwas auslöst, etwas in Bewegung bringt. Aber natürlich darf man nicht zu viel erwarten.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.