Es sind Bilder, die sich vielen Menschen in der Schweiz ins Gedächtnis eingebrannt haben: die Szenen vom Platzspitz in Zürich in den 1980er- und 1990er-Jahren. Menschen, die sich auf offener Strasse Heroin spritzten – verwahrloste, bemitleidenswerte Gestalten, dem Tod oft näher als dem Leben.
«Needle Park» am Zürcher Platzspitz
Felix Gutzwiller hat diese Bilder noch vor seinem inneren Auge. Der Arzt und ehemalige FDP-Ständerat des Kantons Zürich war 14 Jahre lang Vorsitzender der Arbeitsgruppe Drogenpolitik der Schweizer Bundesparteien. Kaum jemand kannte die Probleme der damaligen Zürcher Drogenszene besser als er.
Dass heute nun, 30 Jahre später, in Zürich und anderen Städten sich wieder offene Drogenszenen bilden, überrasche ihn nicht, sagt Gutzwiller: «Wenn man verfolgt, was im Ausland geschieht, wundert es einen fast, dass sich solche Szenen nicht schon früher gebildet haben.»
Hat man sich in falscher Sicherheit gewiegt?
Ähnlich sieht dies auch Thomas Kessler. Er war in den 1990er-Jahren Drogendelegierter im Kanton Basel-Stadt und beriet später auch den Bundesrat in Drogenfragen. Und Kessler sagt auch, die Schweizer Behörden hätten sich besser auf diese Entwicklung einstellen können: «Es ist wirklich sehr erstaunlich, wie reaktiv die Behörden unterwegs waren und sind.»
Wenn man nachlässt, bilden sich rasch neue Szenen, mit neuen Substanzen, wie wir es jetzt erleben.
Das Management von offenen Drogenszenen sei eine anstrengende Daueraufgabe. «Wenn man nachlässt, bilden sich rasch neue Szenen, mit neuen Substanzen, wie wir es jetzt erleben.»
Thomas Kessler hat Anfang der 1990er-Jahre das Vier-Säulen-Modell mitentwickelt und im Kanton Basel-Stadt eingeführt. Mit diesem Modell, das auf die gleichzeitige und eng aufeinander abgestimmte Anwendung von Repression, Prävention, Therapie und Überlebenshilfe setzt, ist es damals gelungen, das Heroin-Elend einzudämmen und die offenen Drogenszenen aufzulösen. Kessler sagt, dieses Modell wäre auch heute noch wirksam, man hätte es aber frühzeitig auf die neuen Begebenheiten anpassen müssen.
Damals Heroin, heute Crack
Konkret anpassen auf die Droge Crack, die jetzt für Schlagzeilen sorgt. Crack ist eine Form von Kokain. Die Droge habe eine andere Wirkung als das Heroin der 90er-Jahre, wirke schnell und intensiv. Allerdings lasse der Rausch bald wieder nach, wodurch die Droge rasch abhängig mache und viele Süchtige aggressiv würden. «Das ist eine andere Kundschaft», sagt Kessler, «sie brauchen andere Angebote als Opiat-Abhängige.»
Dass diese Umstellung versäumt wurde, habe wohl damit zu tun, dass es sich vermutlich viele schlicht nicht mehr hätten vorstellen können, dass sich in der reichen Schweiz wieder eine offene Drogenszene entwickeln könnte. «Nachdem die offenen Szenen verschwunden sind und der Drogenkonsum im Griff schien, hat man sich wohl zu sehr in Sicherheit gefühlt», sagt Gutzwiller. «Das war wohl ein trügerisches Gefühl.»
Wichtig sei nun, dass man rasch und konsequent handle, sagt Kessler – und dabei sowohl die Bevölkerung als auch die Suchtkranken im Auge habe. Allerdings dürfte dies nun, da sich bereits eine neue Szene etabliert hat, umso schwieriger werden. Auch internationale Drogenbanden hätten ein Interesse daran, dass der Markt in der Schweiz weiter floriere.