Was ist passiert? Am Wochenende sorgte der Auftritt des Österreichers Martin Sellner an einer Veranstaltung für einen Polizeieinsatz in Tegerfelden (AG). Noch bevor er seinen Vortrag beginnen konnte, führte ihn die Kantonspolizei Aargau ab und nahm ihn für rund drei Stunden in Gewahrsam. Danach wurde er vom Kanton Aargau weggewiesen – zur Gewährung der öffentlichen Sicherheit. Denn mehrere hundert Personen, vornehmlich Linksextreme, wollten nach Tegerfelden reisen. Dies konnte durch die Polizei verhindert werden.
Warum stoppte die Polizei die Veranstaltung? Gemäss einer Sprecherin der Kantonspolizei Aargau hatte der Inhaber des Veranstaltungsortes den Organisatoren im Verlauf des Samstags eine Nutzung untersagt. Dieser Aufforderung wurde nicht Folge geleistet. Daraufhin kontaktierte der Mann die Kantonspolizei.
Wie reagierten die anwesenden Personen? Zur Veranstaltung hatte die rechtsextreme Organisation «Junge Tat» eingeladen. Die Gruppierung kritisierte unter anderem auf Telegram das Vorgehen der Polizei. Sie beriefen sich auf das Recht zur freien Meinungsäusserung. Diese sei mit der Polizeiaktion verletzt worden, so die Gruppierung.
Stimmt das? «Grundsätzlich ist es richtig, die Meinungsfreiheit schützt absolute Minderheitsmeinungen. Und sie schützt auch provozierende, schockierende Aussagen», sagt Patrice Martin Zumsteg, Rechtsanwalt sowie Dozent für Grundrechte, Sicherheitsrecht und Recht des öffentlichen Raums an der ZHAW gegenüber SRF. «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte macht eine Ausnahme dort, wo es um die Verharmlosung der Naziverbrechen geht. Aber wenn Sie sagen, ‹alle Ausländerinnen und als Ausländer müssen das Land wieder verlassen›, ist das grundsätzlich eine Äusserung, die von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt wird.»
Wie steht es um weitere Rechte? Hierbei spielt weniger die Meinungsäusserungsfreiheit eine Rolle, sondern die Versammlungsfreiheit, wie Rechtsdozent Zumsteg sagt: «Wenn die Polizei eine Versammlung, die im Privaten stattfindet, auflöst, dann greift sie in das Grundrecht ein. Das ist zulässig, solange es eine gesetzliche Grundlage gibt.» Dies ist für Zumsteg im vorliegenden Fall gegeben: «Wenn in einem Dorf hundert Rechtsextremisten und hundert Gegendemonstranten, wovon einige wahrscheinlich noch polizeibekannte, gewalttätige Personen sind, aufeinanderzutreffen drohen, ist es zulässig, dagegen polizeilich vorzugehen – solange dies verhältnismässig geschieht.»
Hätte der Bund Sellner die Einreise verbieten müssen? Am Montag kritisierte der Sicherheitsvorsteher des Kantons Zürich, Mario Fehr, dass Sellner überhaupt einreisen durfte. So sagte er dem «Tages-Anzeiger»: «Die kantonalen Polizeikräfte haben angesichts der steigenden Deliktzahlen Gescheiteres zu tun, als provokative Veranstaltungen von Rechtsextremen zu verhindern. Solche Veranstaltungen müssen vom Bund durch Einreisesperren im Keim erstickt werden.»
Wäre ein Einreiseverbot überhaupt umsetzbar gewesen? Rechtsexperte Zumsteg ist dabei skeptisch: «Ob man da wirklich Aufwand gespart hätte, wenn man ein Einreiseverbot verhängt hätte, ist fraglich. Zwischen Österreich und der Schweiz gibt es zahlreiche Punkte, wo Sellner unkontrolliert über die Grenze hätte spazieren können. Und er ist ja kein Elon Musk, den man überall erkennen würde.»