Auch wenn Maske und Isolation jetzt entfallen, zirkuliert das Coronavirus weiter – und wird möglicherweise auch mutieren. Kommt dazu, dass der Immunschutz der Bevölkerung mit der Zeit abnehmen dürfte. Sind wir in der Schweiz gerüstet, falls die Zahlen im Herbst wieder stark steigen?
Marcel Salathé macht sich Sorgen: «Wir müssen auf den schlechtesten Fall vorbereitet sein», sagt der Epidemiologe an der ETH Lausanne. «Das gehört zum Krisenmanagement und insbesondere zur Krisenverhinderung.»
Harte Kritik vom Epidemiologen
Zum Beispiel brauche es weiterhin Daten, mehr Daten – und nicht weniger: «Wir gehen genau in die falsche Richtung», sagt Salathé.
«Wir beginnen damit, die Zahlen zu reduzieren. Jetzt werden sie nur noch wöchentlich publiziert, vielleicht bald nur noch auf Anfrage.» Das ist harte Kritik. Die Pandemie sei nicht vorbei. Und die Behörden scheinen nicht bereit zu sein für das, was kommen könnte.
Innerhalb von zwei Wochen können wir unsere Impfzentren und Testangebote wieder hochfahren.
Ist die Schweiz tatsächlich nicht gerüstet für den schlimmstmöglichen Fall? Der Sprecher der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern, Gundekar Giebel, temperiert ab: «Wir behalten unsere Kernequipe weiterhin an Bord und lagern unser ganzes Material ein. Innerhalb von zwei Wochen können wir unsere Impfzentren und Testangebote wieder hochfahren.»
Ein «Aufwuchskern» zur Pandemiebewältigung
Bei den Kantonen werden die Ressourcen und Strukturen im Moment also runtergefahren, Krisenstäbe werden aufgelöst. Ziel sei es, sagt Rudolf Hauri, Präsident der Schweizer Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, minimalste Strukturen zu erhalten.
«Man könnte es mit einem ‹Aufwuchskern› vergleichen. Das Know-how bleibt mit einem kleinen Team, das noch alle Erfahrungen der Pandemiebewältigung hat.» Dieses Kernteam könnte dann, so Hauri, mit Personal und Infrastruktur verstärkt werden – wenn dies nötig sein sollte.
Nach mehr als zweieinhalb Jahren Krise sollten wir den Herbst mit einer normalen Verteilung der Kompetenzen bewältigen können.
Die Vertreter des Bundes und der Kantone gehen von einer immunen Bevölkerung im Herbst aus. Allenfalls braucht es eine Auffrischimpfung. Die Zahlen könnten steigen. Aber der Krisenmodus ist nicht mehr nötig.
Bundesrat Alain Berset sagte an der Medienkonferenz vom Mittwoch: «Nach mehr als zweieinhalb Jahren Krise ist die Idee im Herbst, dass wir eine solche Situation mit einer normalen Verteilung der Kompetenzen bewältigen können.»
Laut Berset sind die Behörden mit den Impfungen, Medikamenten und ihrem Erfahrungsschatz bei der Pandemiebewältigung für den Corona-Herbst gerüstet.
Der Bund überwacht, die Kantone handeln
Der Bund zieht sich also zurück auf die Zuständigkeiten in einer normalen Lage. Hier steht das Überwachen der Epidemie im Zentrum. So sind verschiedene Forschungsprojekte geplant, die der Bund finanzieren will – zur Immunität, Abwassertests oder Gen-Analysen.
Der Bund hält aber daran fest, dass die eigentlichen Infektionszahlen nur noch wöchentlich publiziert werden sollen. Das hat bereits für Kritik gesorgt.
Strukturen abbauen, Ferien beziehen, Überstunden abbauen, in den Nachkrisenmodus wechseln – doch ein Dilemma bleibe, sagt der Vertreter der Kantonsärzte, Rudolf Hauri: «Es stellt sich die Frage, welche Ressourcen und Strukturen behalten oder runtergefahren werden sollen. Es ist ein Abwägen. Schliesslich kostet das alles auch etwas.»
Ob sich die Behörden auf das richtige Szenario vorbereitet haben, wissen wir dann im Herbst.