Einem Schweizer wurden in Genf Wucher, Geldwäscherei und Steuerhinterziehung vorgeworfen, worauf ihn ein Staatsanwalt in Untersuchungshaft nahm. Der Mann habe aufgrund seines jüdischen Glaubens jederzeit das Recht, nach Israel zu fliehen. Das sei ähnlich, wie wenn er eine ausländische Staatsbürgerschaft habe, so die Argumentation des Staatsanwalts.
Das Gesetz in der Schweiz sieht vor, dass beschuldigte Personen dann in Untersuchungshaft kommen, wenn die Gefahr besteht, dass sie fliehen, Beweise beseitigen oder weitere Straftaten begehen.
Rückkehrrecht nach Israel
Dem Schweizer Juden wurde also das sogenannte Rückkehrrecht zum Verhängnis: Unter dem Eindruck des Holocausts wollte Israel Juden im Exil die Möglichkeit geben, jederzeit nach Israel zu fliehen. Zwei Jahre nach der Staatsgründung Israels verabschiedete die Knesset 1950 deshalb ein Gesetz, wonach jeder Jude das Recht habe, nach Israel einzuwandern.
Entsetzt über die Argumentation des Genfer Staatsanwalts ist die Historikerin Hannah Einhaus. Sie hat viele Jahre lang ein jüdisches Magazin geleitet. «Der Staatsanwalt hat offenbar immer noch ein Bild von jüdischen Schweizern, wie es in der Schweiz kurz nach der israelischen Staatsgründung in den 1950er-Jahren der Fall war.»
Der Vorwurf des Genfer Staatsanwalts klingt nach einem antisemitischen Vorurteil.
Viele in der Schweiz hätten damals gedacht, jüdische Schweizer hätten eine doppelte Loyalität. «Man kam auf die Idee, die jüdischen Schweizer seien Doppelbürger – was überhaupt nicht stimmt», so Einhaus. Das sei antisemitisch gewesen. Denn den Katholiken habe man ja auch nicht vorgeworfen, sie seien loyal zum Vatikan.
Darum: «Der Vorwurf des Genfer Staatsanwalts klingt nach einem antisemitischen Vorurteil», sagt die Historikerin, die sich mit Antisemitismus befasst hat.
Bundesgericht: Staatsanwalt befangen
Das sah auch der Betroffene im konkreten Fall so. Er beantragte deshalb, dass der Staatsanwalt in den Ausstand treten müsse. Er suggeriere nämlich, dass jeder Jude wahrscheinlich fliehen würde.
Jetzt hat das Bundesgericht dem Mann recht gegeben: Die Argumentation des Staatsanwalts erwecke den Anschein, dass er den Mann anders behandle, nur weil er jüdischen Glaubens sei. Das erwecke den Eindruck, dass er befangen sei. Der Staatsanwalt muss deshalb in den Ausstand treten, das Kantonsgericht muss dem Fall einen neuen Staatsanwalt zuweisen. Der Angeklagte wurde schon vor längerer Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen.
Damit macht das Bundesgericht klar: Es geht nicht, einzig auf die Religion abzustellen. Es brauche konkretere Verbindungen der Person zu Israel, die eine Flucht als wahrscheinlich erscheinen liessen. Wenn die Person beispielsweise Verwandte in Israel habe, dort ein Haus besitze oder Wohnsitz beantragt habe, dann deute das auf eine mögliche Fluchtgefahr hin, so das Bundesgericht.
Jüdischsein an sich begründe hingegen kein Fluchtrisiko.