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Pia Hollenstein zur Reaktion der Schweizer Politik auf das Urteil
Aus Club vom 04.06.2024.
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Entscheid zu Klimaseniorinnen «Es ist schockierend, wie die Politik aufs Klima-Urteil reagiert»

Der Erfolg der Klimaseniorinnen vor dem EGMR hat zu heftigen Reaktionen geführt. Die Schweiz soll dem Klima-Urteil nicht weiter Folge leisten, fordern Politiker und Politikerinnen von Mitte bis Rechts. Ein hitziger Schlagabtausch aus dem «Club».

«Es ist schockierend, wie die Schweizer Politik auf das Klima-Urteil reagiert», kritisiert Klimaseniorin Pia Hollenstein. «Die Initianten der Erklärung gegen das Klima-Urteil haben die Überschätzung von sich selber, dass sie ein Papier schreiben können und dann gelte das Urteil nicht.»

Am Mittwoch hat der Ständerat dieser Erklärung seiner Rechtskommission zugestimmt, die dem Klima-Urteil nicht «weiter Folge geben» will und den «gerichtlichen Aktivismus» des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kritisiert.

Das beinhaltet das Klima-Urteil

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Legende: Anne Mahrer (rechts) und Rosmarie Wydler-Waelti (links), beide Co-Präsidentinnen der Klimaseniorinnen, sprechen vor vielen Anhängerinnen an der Generalversammlung der Klimaseniorinnen in Bern am 4. Juni 2024. KEYSTONE/Gaetan Bally

Die Gruppierung «Klimaseniorinnen» hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen die Schweiz eingereicht. Die Schweiz würde nicht genug im Kampf gegen den Klimawandel tun, was die Menschenrechte der Schweizerinnen und Schweizer verletze, argumentierten sie. 

Das Gericht in Strassburg stellte dann eine Verletzung der Menschenrechtskonvention fest und rügte die Schweiz entsprechend. Der Ständerat fordert nun, dem Urteil nicht «weitere Folge zu geben».

Hollenstein erinnert sich an ihre Zeit im Parlament, als Beschlüsse vom EGMR noch akzeptiert wurden: «Damals haben bürgerliche Parlamentarier das als selbstverständlich erachtet, dass europäische Menschenrechtsbeschlüsse für uns gelten.» Heute sei das nicht mehr der Fall. «Das ist für mich ein Problem für die Schweiz, wenn die Bürgerlichen nicht mehr dafür plädieren, die Menschenrechte einzuhalten. Das ist eigentlich eine Katastrophe», sagt sie.

Ein Satz bringt Verwirrung

FDP-Ständerat Andrea Caroni, der die Erklärung mitformuliert hat, versucht zu beruhigen: «Es gibt sie immer noch, die Bürgerlichen, die für Menschenrechte einstehen, ich bin einer davon.» Die Erklärung solle nicht bedeuten, dass das Urteil ignoriert und die Menschenrechte verneint werden. Sie besage lediglich, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil «weiter Folge zu geben». 

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Andrea Caroni zu seiner mitformulierten Erklärung
Aus Club vom 04.06.2024.
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Haarspalterei? Wortklauberei? Juristerei? Was genau bedeutet diese Formulierung, die so unterschiedlich interpretiert wird? Caroni erklärt, dass das Urteil akzeptiert, aber als bereits erfüllt angesehen werde, unter anderem durch das revidierte CO₂-Gesetz, das vom Parlament verabschiedet, aber vom Gericht bei der Urteilssprechung nicht beachtet worden sei.  

Sein Antrag für ein Zusatzprotokoll solle zudem verhindern, «dass die EGMR-Richter in einen Machtrausch kommen», denn mit diesem Urteil habe das Gericht sein Mandat überschritten.

Im «Club» diskutieren

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Nach dem Sieg der Klimaseniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist im Parlament ein Streit entfacht. Soll die Schweiz das Urteil akzeptieren – oder ignorieren? Ist Klimaschutz ein Menschenrecht? Und macht die Schweiz genug, um die Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels zu schützen?

Mit Barbara Lüthi diskutierten darüber:

– Magdalena Erni, Co-Präsidentin Junge Grüne

– Christian Imark, Nationalrat SVP

– Pia Hollenstein, Klimaseniorin, alt Nationalrätin Grüne

– Andrea Caroni, Ständerat FDP, Vizepräsident der FDP Schweiz und der Rechtskommission des Ständerats

– Evelyne Schmid, Professorin für Völkerrecht, Universität Lausanne

– Peter Hettich, Professor für Öffentliches Recht, Universität St. Gallen.

Die Sendung wurde aufgezeichnet, bevor die Debatten zum Klima-Urteil in National- und Ständerat stattgefunden hatten.

Christian Imark hingegen warnt vor einer «Veramerikanisierung» des Systems, die die direkte Demokratie gefährden könne. «Wer hat denn mehr Legitimation zu entscheiden als das gesamte Schweizer Volk? Auf jeden Fall nicht diese nicht-demokratisch gewählten Richter in Strassburg», meint der SVP-Nationalrat.

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Magdalena Erni kritisiert parlamentarische Reaktion
Aus Club vom 04.06.2024.
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Magdalena Erni, Co-Präsidentin der Jungen Grünen, ist nicht überrascht über die ablehnende Haltung der Parlamentarier. Das Urteil sei schliesslich eine Kritik an der Arbeit des Parlaments, das es versäumt habe, die Gesundheit der Seniorinnen und der künftigen Generationen zu schützen. «Die Klimakrise eskaliert», warnt Erni.

Klimaseniorin vs. Politik

Dann holt die Klimaseniorin aus: «Es wäre ehrlicher zu sagen, dass ihr das Klima gar nicht verbessern wollt, weil ihr überhaupt noch nicht erkannt habt, wie gravierend die Lage ist», so Hollenstein zu Caroni und Imark. Sie fordert Ehrlichkeit und mehr Engagement für den Klimaschutz.

Das ist der EGMR

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Seit 1959 urteilt er in Strassburg über Beschwerden von Privatpersonen und Staaten. 

1972 hat auch die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Seit Mitte der 1970er-Jahre beurteilte der EGMR auch Schweizer Fälle. Entschieden wird dabei von 46 Richterinnen und Richtern, wobei jedes Land dafür eine Person nach Strassburg schickt. Für die Schweiz amtet seit 2021 Andreas Zünd am EGMR.

Diesen Angriff lässt Umweltpolitiker Imark nicht gelten. Es sei klar, dass man gegen den Klimawandel vorgehen müsse: «In der Kommission suchen wir gemeinsam stets nach Lösungen.» Er wolle einen Klimaschutz, der Bevölkerung und Wirtschaft einbeziehe. Seine Lösung: neue AKWs. Auch hier sind die Meinungen geteilt. Die Diskussion wird weitergehen.

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Streit um Klima-Urteil entzweit die Politik
Aus Club vom 04.06.2024.
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Club, 4.6.2024, 22:25 Uhr

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