«Es ist schockierend, wie die Schweizer Politik auf das Klima-Urteil reagiert», kritisiert Klimaseniorin Pia Hollenstein. «Die Initianten der Erklärung gegen das Klima-Urteil haben die Überschätzung von sich selber, dass sie ein Papier schreiben können und dann gelte das Urteil nicht.»
Am Mittwoch hat der Ständerat dieser Erklärung seiner Rechtskommission zugestimmt, die dem Klima-Urteil nicht «weiter Folge geben» will und den «gerichtlichen Aktivismus» des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kritisiert.
Hollenstein erinnert sich an ihre Zeit im Parlament, als Beschlüsse vom EGMR noch akzeptiert wurden: «Damals haben bürgerliche Parlamentarier das als selbstverständlich erachtet, dass europäische Menschenrechtsbeschlüsse für uns gelten.» Heute sei das nicht mehr der Fall. «Das ist für mich ein Problem für die Schweiz, wenn die Bürgerlichen nicht mehr dafür plädieren, die Menschenrechte einzuhalten. Das ist eigentlich eine Katastrophe», sagt sie.
Ein Satz bringt Verwirrung
FDP-Ständerat Andrea Caroni, der die Erklärung mitformuliert hat, versucht zu beruhigen: «Es gibt sie immer noch, die Bürgerlichen, die für Menschenrechte einstehen, ich bin einer davon.» Die Erklärung solle nicht bedeuten, dass das Urteil ignoriert und die Menschenrechte verneint werden. Sie besage lediglich, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil «weiter Folge zu geben».
Haarspalterei? Wortklauberei? Juristerei? Was genau bedeutet diese Formulierung, die so unterschiedlich interpretiert wird? Caroni erklärt, dass das Urteil akzeptiert, aber als bereits erfüllt angesehen werde, unter anderem durch das revidierte CO₂-Gesetz, das vom Parlament verabschiedet, aber vom Gericht bei der Urteilssprechung nicht beachtet worden sei.
Sein Antrag für ein Zusatzprotokoll solle zudem verhindern, «dass die EGMR-Richter in einen Machtrausch kommen», denn mit diesem Urteil habe das Gericht sein Mandat überschritten.
Christian Imark hingegen warnt vor einer «Veramerikanisierung» des Systems, die die direkte Demokratie gefährden könne. «Wer hat denn mehr Legitimation zu entscheiden als das gesamte Schweizer Volk? Auf jeden Fall nicht diese nicht-demokratisch gewählten Richter in Strassburg», meint der SVP-Nationalrat.
Magdalena Erni, Co-Präsidentin der Jungen Grünen, ist nicht überrascht über die ablehnende Haltung der Parlamentarier. Das Urteil sei schliesslich eine Kritik an der Arbeit des Parlaments, das es versäumt habe, die Gesundheit der Seniorinnen und der künftigen Generationen zu schützen. «Die Klimakrise eskaliert», warnt Erni.
Klimaseniorin vs. Politik
Dann holt die Klimaseniorin aus: «Es wäre ehrlicher zu sagen, dass ihr das Klima gar nicht verbessern wollt, weil ihr überhaupt noch nicht erkannt habt, wie gravierend die Lage ist», so Hollenstein zu Caroni und Imark. Sie fordert Ehrlichkeit und mehr Engagement für den Klimaschutz.
Diesen Angriff lässt Umweltpolitiker Imark nicht gelten. Es sei klar, dass man gegen den Klimawandel vorgehen müsse: «In der Kommission suchen wir gemeinsam stets nach Lösungen.» Er wolle einen Klimaschutz, der Bevölkerung und Wirtschaft einbeziehe. Seine Lösung: neue AKWs. Auch hier sind die Meinungen geteilt. Die Diskussion wird weitergehen.