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Entscheid zu Klimaseniorinnen Ständerat kritisiert Klimaurteil – und gibt Kontra

  • Der Ständerat kritisiert das Klimaurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
  • Zusätzliche Massnahmen für den Klimaschutz will er deswegen keine, da die Forderungen erfüllt seien.
  • Die kleine Kammer hat eine entsprechende Erklärung angenommen.

Fast drei Stunden hat sich der Ständerat Zeit genommen, um die vorgelegten Erklärungen zum Klimaurteil gegen die Schweiz zu diskutieren. Dabei prägten zwei Kernfragen die Debatte: Was genau soll die Erklärung aussagen? Und wie wirkt eine solche Erklärung im In- und im Ausland?

Den Auftakt machte Ständerat Daniel Jositsch von der SP, seines Zeichens Präsident der Rechtskommission. Nach den Kontroversen der vergangenen Tage stellte er klar: «Die Kommission hat nicht gesagt, dass sie das Urteil des Gerichtshofs ignoriert. Sie ist der Meinung, dass die Schweiz das Urteil mittlerweile erfüllt.»

Aus Sicht der Rechtskommission ist das Urteil deshalb inhaltlich falsch. Sie stört sich auch am Vorgehen des Gerichtshofs in Strassburg, das die Gewaltentrennung ritze. «Indem wir das anmahnen, schützen wir den EGMR. Denn wenn er in dieser Form weitermacht, unterminiert und diskreditiert er die Akzeptanz des internationalen Rechts.»

Das Urteil des EGMR

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Gruppe von Seniorinnen hält Banner mit Klimabotschaften.
Legende: Die Klimaseniorinnen posieren für ein Protestfoto in Bern. Keystone/Gaetan Bally

Der Gerichtshof hatte Anfang April auf eine Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen hin eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz festgestellt. Sie sei ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht nachgekommen. Der Staat müsse Einzelpersonen vor den Folgen des Klimawandels für Leben und Gesundheit schützen.

Stützt eine kritische Erklärung den Gerichtshof? Oder greift sie ihn vielmehr an? Im Rat gab es beide Auffassungen. Keinen Hauch von Missverständnis wünschte sich die Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger. Deshalb wollte sie die Erklärung kürzen und fragte, welche Auswirkungen die Aufforderung auf andere, allenfalls fragile Rechtsstaaten haben würde. «Werden solche Staaten die Erklärung als Vorwand nehmen, künftig Entscheide demokratisch legitimierter Institutionen zu ignorieren?»

Ratskollege Matthias Michel von der FDP plädierte dafür, die Formulierung «keine weitere Folge leisten» aus der Erklärung zu streichen – der Ständerat werde instrumentalisiert von links und rechts. «Diejenigen, die das EGMR-Urteil als für die Schweiz wegweisend erachten, werfen uns Ignoranz und Missachtung rechtsstaatlicher Institutionen vor», so der Zuger Ständerat. «Instrumentalisiert werden wir auch von erklärten Gegnern internationaler Verpflichtungen, wie etwa der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).»

Amnesty: «Ständerat spielt mit dem Feuer»

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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigte sich in einer Stellungnahme besorgt über den Entscheid. Der Ständerat spiele mit dem Feuer, schrieb sie. «Die Missachtung des EGMR-Urteils wäre ein verheerendes Signal an die europäischen Staaten, dass sie sich aussuchen können, welche Urteile sie befolgen wollen», liess sich Geschäftsleiterin Alexandra Karle zitieren. Die «chambre de réflexion» habe sich mutwillig zur «chambre de provocation» gemacht.

Ratsmitglieder von Mitte und FDP sprachen sich für harte Formulierungen aus. Auch Pirmin Schwander, Ständerat der SVP aus dem Kanton Schwyz, stellte sich dahinter: «Ich habe in meinen bisherigen Tätigkeiten in der Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und der Lehre noch nie so eine weltfremde, theoretische, gesinnungsorientierte und gegenüber der Schweiz beleidigende Rechtsakrobatik gesehen.»

Linke Warnrufe verhallen

Verschiedene Ständeräte von der Grünen Partei und von der SP wollten ganz verzichten auf eine Erklärung.

Für Céline Vara (Grüne/NE) wäre eine Erklärung schlicht ein Angriff auf das internationale Gericht – im Strudel eines politischen Aktivismus. Die Schweiz solle stolz sein auf das Urteil, das allen Mitgliedstaaten klarmache, dass der Klima- und Umweltschutz besser werden müsse, fand etwa Carlo Sommaruga von der SP.

Diese Stimmen allerdings erhoben sich vergeblich. Nach einer Debatte, die zwischenzeitlich einem juristischen Seminar glich, zog Mitte-Politikerin Gmür die gekürzte Version zurück. Der Vorschlag von FDP-Vertreter Michel unterlag, und die kleine Kammer stellte sich mit 31 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen hinter den Vorschlag der Kommission. Der Nationalrat wird die Debatte nächste Woche führen.

Rendez-vous, 05.06.2024, 12:30 Uhr;kesm

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