Seniorinnen und Senioren gehören zur Risikogruppe, so betont der Bundesrat immer wieder. Darum sollen sie möglichst zu Hause bleiben. In letzter Zeit gibt es immer mehr Argwohn gegenüber älteren Menschen, wenn sie sich ausserhalb ihrer vier Wände aufhalten. Ist die Solidarität zwischen Jung und Alt in Schieflage? Bea Heim, Co-Präsidentin des Schweizerischen Seniorenrates, nimmt Stellung.
SRF News: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von solchen Anfeindungen gegenüber Senioren erfahren? Wie sollen sich Senioren bei solchen Anfeindungen verhalten?
Bea Heim: Beschimpfungen, Anfeindungen bis hin zum Bespuckt werden – das so etwas vorkommt, ist wahr und doch kaum zu glauben. Darauf im Moment richtig zu reagieren, ist sehr schwierig. Das sind Alarmzeichen, die beunruhigen. Das darf sich unsere Gesellschaft nicht gefallen lassen.
Ich erlebe eine grosse Solidarität.
Auch von Aussenstehenden ist Zivilcourage gefragt. Seniorinnen und Senioren müssen sich solidarisieren und für ihre Menschenwürde einstehen. Als Seniorenrat sind wir aufgerufen hier politisch und allenfalls juristisch zu intervenieren.
Wie kann es zu solchen Entgleisungen kommen?
Die Coronakrise verunsichert uns alle. Viele werden dadurch ganz aus der Bahn geworfen und verlieren in ihrer Hilflosigkeit jeden Anstand. Vielleicht hängt dies auch mit der Kommunikation des Bundesrates zusammen: Der gut gemeinte Aufruf, zu den vulnerablen Gruppen Sorge zu tragen, verleitet manche zu der irrigen Meinung, die Alten seien schuld am Lockdown und dessen gravierenden wirtschaftlichen Konsequenzen. Heute wissen wir aber, dass Vulnerabilität nicht einfach eine Frage des Alters ist. Für alle Menschen mit Vorerkrankungen ist eine Covid 19-Infektion lebensgefährlich, ob sie nun jung sind oder alt.
Vulnerable sind auf nachbarschaftliche Hilfe angewiesen. Ist diese vielleicht zu kompliziert? Senioren, sagt man, sind im Umgang mit den sozialen Medien weniger versiert.
Niemand sollte sich genieren, Hilfe zu holen, zum Beispiel beim elektronischen Einkauf. Viele sind durchaus bereit anderen beizustehen, wenn es nötig ist. Ich erlebe eine grosse Solidarität. Zudem: Viele ältere Menschen sind, was die modernen Techniken anbelangt, voll dabei und wissen sich zu organisieren.
Alain Huber von Pro Senectute meinte, dass die Solidarität zwischen den Generationen in Schieflage sei. Sehen Sie das auch so?
Ja, leider! In den Medien werden wirtschaftliche Schäden des Lockdowns und Menschenleben gegeneinander aufgerechnet. Das ist unserer Gesellschaft unwürdig und bringt uns nicht weiter.
Viele ältere Menschen fühlen sich in diesen Zeiten schon sehr einsam.
Die Generationen sind aufeinander angewiesen. Alle sollen nach ihren Möglichkeiten dazu beitragen, dass wir diese Krise gemeinsam überstehen. So wie sich die Vasos (Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen), die ein Teil des Schweizerischen Seniorenrates ist, für Kindertagesstätten einsetzt, ist es auch im Interesse der jungen Generation, dass ein Alter in Würde möglich ist.
Ist denn die psychische Belastung infolge der Coronakrise bei SeniorInnen grösser als bei jungen Menschen?
Das kommt darauf an, wie jemand veranlagt ist. Viele ältere Menschen fühlen sich in diesen Zeiten schon sehr einsam. Altersgenossen und -genossinnen leben nicht mehr, die nächsten Angehörigen können ihre alten Verwandten nicht besuchen. Noch grösser ist die Belastung, wenn man nicht mobil ist. Darum führte auch die Pro Senectute des Kantons Solothurn, die ich präsidiere, Telefonketten ein, um diese Not etwas zu lindern.
Das Gespräch führte Martin Horazdovsky.