Am Freitag noch sprach Bundespräsident Guy Parmelin von erheblichen Differenzen zwischen der Schweiz und der EU. Am Montag waren es dann bereits «fundamentale Differenzen».
Kommunikativ lässt er es also eskalieren. Mitte-Präsident Gerhard Pfister begrüsst die «klare Kommunikation»: «Es ergibt keinen Sinn, wenn man den Anschein erweckt, die Unterschiede seien nicht so gross – wie man das seitens des Bundesrates in den letzten Jahren immer etwas gemacht hat.»
Ich bedaure, dass Parmelin nicht in der ganzen Verhandlungszeit mit dieser Klarheit aufgetreten ist
Ganz anders äussert sich SP-Aussenpolitiker Eric Nussbaumer zu Parmelins Kommunikation: «Es ist etwas aussergewöhnlich, wie Parmelin in dieser Schlussverhandlung auftritt. Ich bedaure, dass er nicht in der ganzen Verhandlungszeit mit dieser Klarheit aufgetreten ist. Und das ist auch schwierig zu verstehen – dass man jetzt in dieser Schlussphase, wo man Kompromisse schmieden sollte, einfach sagt: entweder so oder gar nicht.»
Doch die Wortwahl ist das eine. Hinzu kommt, was der Bundespräsident inhaltlich genau gesagt hat.
Grosse Konzessionen gemacht?
Konkret betonte Parmelin, dass die Schweiz grosse Konzessionen gegenüber der EU gemacht habe, etwa bei der dynamischen Übernahme von EU-Recht und dem Streitschlichtungs-Mechanismus. Deshalb müsse die EU nun auch der Schweiz entgegenkommen, etwa bei den flankierenden Massnahmen und der Unionsbürgerrichtlinie. Doch gebe es hier eben grosse Differenzen. Aber: Stimmt das überhaupt, dass die Schweiz bei der Rechtsübernahme Konzessionen gemacht hat?
FDP-Aussenpolitikerin Christa Markwalder bestreitet dies: «Aus meiner Sicht ist das Gegenteil der Fall. Wir haben bei Verhandlungsbeginn bei einer automatischen Rechtsübernahme gestartet und die EU hat uns viele Zugeständnisse gemacht.» So habe sie anfänglich viel mehr bilaterale Abkommen unter das Rahmenabkommen fassen wollen.
Die EU sei der Schweiz bei den Verfahren entgegengekommen, sodass Volksabstimmungen über neues EU-Recht möglich seien; und dass die Schweiz mit dem Rahmenabkommen bei den Gesetzgebungsprozessen in der EU mitreden könnte. «Deshalb erstaunt mich das Argument, dass ausgerechnet die dynamische Rechtsübernahme ein Entgegenkommen der Schweiz darstelle», so Markwalder.
Bundesrat akzeptierte Rechtsübernahme 2013
Zudem akzeptierte der Bundesrat bereits im eigenen Verhandlungsmandat von 2013 völlig unkritisch die dynamische Rechtsübernahme sowie die wichtige Rolle des Europäischen Gerichtshofes bei der Streitschlichtung. Insofern stellt sich schon die Frage, warum der Bundespräsident dies nun als grosse Konzessionen verkaufen könne.
Der Schweiz war 2013 nicht bekannt, mit welcher Hartnäckigkeit und Ideologie die EU ihr künftige Veränderungen aufs Auge drücken möchte.
Die Frage geht an Mitte-Ständerat Pirmin Bischof: «Es ist zwar so, dass bereits im ursprünglichen Mandat die dynamische Rechtsübernahme und der Streitschlichtungs-Mechanismus vorskizziert waren. Aber der Schweiz war damals nicht bekannt, mit welcher Hartnäckigkeit und Ideologie die EU ihr künftige Veränderungen aufs Auge drücken möchte.»
Bischof sieht den Fehler bei der EU. Er gesteht aber auch ein, dass der Bundesrat wohl erst im Verlaufe der Verhandlungen realisiert habe, worauf er sich bei der dynamischen Rechtsübernahme eingelassen habe. So bleibt der Eindruck: Weil der Bundesrat nie Position bezogen und nur selten transparent informiert hat, bleibt ihm jetzt nicht viel anderes übrig als die kommunikative Notbremse.