Nun spricht der Bundespräsident also Klartext. Der Bundesrat habe der EU stets schriftlich mitgeteilt, welche Punkte ihm wichtig seien und was er fordere, stellte Guy Parmelin an der gestrigen Pressekonferenz fest.
Ausserdem wehrte er sich gegen den Vorwurf, dass man verlangt habe, den Bereich der Personenfreizügigkeit vom Abkommen auszuklammern. Das stimme nicht.
Während der Verhandlungen ist die Schweiz wichtige Kompromisse eingegangen.
Auch die Behauptung der EU, dass die Schweiz ihr nie Kompromisse unterbreitet habe, wies der Bundespräsident vehement zurück. Ganz im Gegenteil sei die Schweiz während der Verhandlungen «wichtige Kompromisse eingegangen.»
Der Knackpunkt ist die unterschiedliche Auslegung der Personenfreizügigkeit.
Alles in allem seien die Differenzen mit der EU fundamental, stellte Parmelin vor den versammelten Medien fest. Sein Bundesratskollege Ignazio Cassis erklärte auch gleich, weshalb: «Der Knackpunkt der Differenzen mit der EU ist die unterschiedliche Auslegung der Personenfreizügigkeit», so der Aussenminister.
Für die Schweiz stehe dabei die Personenfreizügigkeit für die Arbeitnehmenden und ihre Familien im Vordergrund. Die EU hingegen fordere die Freizügigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger der Union.
Auch die flankierenden Massnahmen würden unterschiedlich beurteilt: Für die Schweiz gehe es dabei vor allem um den Lohnschutz. Für die EU stellen diese Massnahmen dagegen eine Wettbewerbsverzerrung dar.
Was die EU anbiete, sei für den Bundesrat eindeutig ungenügend, machte Cassis klar. «Ohne zufriedenstellende Lösungen in diesen Bereichen wäre das Abkommen nach Ansicht des Bundesrates nicht ausgewogen.» Mit anderen Worten: Ohne Anpassungen unterschreibt er das Rahmenabkommen nicht.
Bisher war die Schweiz immer in der Defensive, weil wir nur gesagt haben, was wir nicht wollen.
Die neue Klarheit des Bundesrats kommt bei der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats gut an. Präsident Damian Müller von der FDP etwa zeigt sich erfreut. «Bisher war die Schweiz immer in der Defensive, weil wir nur gesagt haben, was wir nicht wollen.» Jetzt sei es an der Zeit, klare Forderungen an Brüssel zu stellen.
Ein Abbruch dieser Verhandlungen führt nicht zu einem Brexit à la Schweiz.
Auch Kommissionsmitglied Christian Levrat betont, dass die EU nun ihre Position ändern müsse. Andernfalls komme das Abkommen nicht zustande. Aus Sicht des Sozialdemokraten wäre das keineswegs eine Katastrophe. «Ein Abbruch dieser Verhandlungen führt nicht zu einem Brexit à la Schweiz», beschwichtigt er.
Anders als die Kommission des Nationalrats hat die ständerätliche Kommission den Bundesrat denn auch nicht explizit aufgefordert, weiterzuverhandeln. Der Ball, so Levrat, liege jetzt klar bei der EU.