Nach vier Wochen mit der «ausserordentlichen Lage» hat heute der Bundesrat ein Ausstiegsszenario skizziert. In drei Etappen strebt er eine Normalisierung des Geschäfts- und Zusammenlebens an. Der Bundesrat erhält viel Lob für sein Vorgehen, muss aber auch in einigen Punkte Kritik einstecken. Im Interview verteidigt Gesundheitsminister Alain Berset die bisher ergriffenen, behutsamen Massnahmen.
SRF News: Herr Bundesrat, die Schulen sollen erst in einem zweiten Schritt geöffnet werden. Nun haben wir heute gehört, dass Kinder weder krank werden, noch eigentliche Virusschleudern sind. Hätte man die Schulen nicht sofort öffnen müssen?
Alain Berset: Nein. Wir wenden andere Kriterien an. Das Hauptkriterium ist dort anzufangen, wo keine grossen Bewegungsströme verursacht werden in der Bevölkerung. Dort, wo nicht der öffentliche Verkehr gefüllt wird, dort, wo es nicht zu grossen Menschenansammlungen kommt. Gerade deshalb beginnen wir in einem ersten Schritt mit personenbezogenen Dienstleistungen. Danach kommen zwei Wochen später die Schulen.
Das ist eine sehr schwierige Phase: Wir lockern, aber das sehr sorgfältig, um zu verhindern, dass es einen Neuanstieg gibt.
Für viele Eltern ist die Situation schwierig – hätte man nicht jetzt handeln müssen?
Wir versuchen, eine nicht ganz einfache Situation zu meistern. In dieser Epidemie mit einem Virus, das ziemlich unbekannt ist, haben wir eine Situation, die gar nicht so schlecht ist. Die Leute haben die Massnahmen sehr diszipliniert umgesetzt, das hat zu dieser sehr guten Situation geführt – trotz der hohen Anzahl von Infektionen in der Schweiz. Das ist eine gute Sache, aber es ist erst der Anfang. Wir müssen jetzt in eine Transitionsphase übergehen. Das ist eine sehr schwierige Phase: wir lockern, aber das sehr sorgfältig, um zu verhindern, dass es einen Neuanstieg gibt.
Auch die Läden gehen erst am 11. Mai auf. In Deutschland und Österreich ist das anders. Wieso werden die Geschäfte nicht früher geöffnet?
Wir haben Lockerungsmassnahmen, die der Schweiz angepasst sind. In Österreich ist ein Teil der Läden in der Tat schon wieder offen, aber nur mit einer Maximalfläche von 400 Quadratmetern.
Wäre das in der Schweiz nicht auch möglich?
In der Umsetzung ist das nicht ganz einfach. Wir sind auch in Kontakt mit Swiss Retail, die sind nicht begeistert. Denn es ist kompliziert, man muss den Laden ausmessen. Ein Geschäft ist offen, das andere ist zu und man weiss nicht genau weshalb. In Bern in der Marktgasse wären zwei Drittel der Läden nach wie vor zu mit diesem Kriterium. Jedes Land muss einen eigenen Weg für die lokale Situation finden.
Einen langen Weg wird es für die Restaurants geben, dort wurde noch keine Prognose gemacht. Ist das nicht sehr hart?
Ja, das ist schon sehr schwierig. Aber wir wollen wirklich ohne Beschönigung der Epidemie aus dieser Situation kommen. Das ist nicht einfach umzusetzen in Restaurants und Bars. Wer hat Lust in einem Restaurant zu essen mit zwei Metern Abstand? Wer hat Lust, in einer Bar ein Bier zu trinken mit zwei Metern Abstand? Aber der Bundesrat hat entschieden, dieses Problem anzugehen, und zu schauen, wo eine etappenweise Öffnung möglich ist.
Die Masken werden in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Jetzt haben wir gehört, dass die Armee-Apotheker 400 Millionen Masken kaufen müssen bis Ende April. Man merkt, dass es in der Schweiz zu wenige Masken gibt – ist das nicht beschämend?
Es wird nicht so viele brauchen bis Ende April.
Wie viele sind denn nötig?
Wir müssen einfach für die Umsetzung der Schutzkonzepte und der Lockerungsmassnahmen genügend Masken haben. Man muss auch mal den Pandemieplan anschauen: Dort ist genau beschrieben, wer wie viele Reserven haben sollte. Im Nachhinein wird man sagen können, dass sehr viele Institutionen und Einrichtungen diese Reserven nicht hatten. Das nächste Mal wird es sicher anders sein. Aber jetzt, was können wir jetzt tun? Es ist nicht die Aufgabe des Bundes, Reserven für die ganze Bevölkerung anzulegen. Das war nie so gedacht. Jetzt, wo wir feststellen, dass wir zu wenig Masken haben, haben wir uns so organisiert, dass wir so viele Masken kaufen, wie es eben braucht.
Ich sage nur: Wir haben in der Tat zu wenige Masken gehabt, jetzt müssen wir aufholen.
Wie war es möglich, in einem Land mit einem 85 Milliarden teuren Gesundheitswesen, dass die Masken-Reserven nicht aufgefüllt wurden? Das ist doch skandalös.
So weit würde ich nicht gehen. Wir waren immer gewohnt, mit den Kantonen zusammen zu arbeiten.
Die Kantone haben also ihre Aufgaben nicht gemacht?
Nein. Es wird Ihnen nicht gelingen, mich und die Kantone gegeneinander auszuspielen. Wir sind gemeinsam in dieser Situation. Es gibt hier keinen Streit. Wir müssen das mit allen Beteiligten zusammen meister. Ich sage nur: Wir haben in der Tat zu wenig Masken gehabt, jetzt müssen wir aufholen. Wir haben uns jetzt darauf vorbereitet, auch wenn der Bund eigentlich nicht Hauptakteur wäre bei der Beschaffung von Masken. Aber jetzt tun wir es, weil es Masken braucht.
Umgekehrt gefragt: Was hätten Sie gesagt, wenn Sie vor sechs Monaten festgestellt hätten, dass wir für Hunderte von Millionen Franken Masken gekauft hätten? Man hätte sicher gefragt: wieso jetzt und wieso so viele?
Wir müssen einen Weg finden, damit wir diese Schutzkonzepte umsetzen können. Wir dürfen dabei nicht vergessen, Maskentragen wird für eine gesunde Person auf der Strasse nach wie vor nicht empfohlen. Das bleibt so. Wir haben uns immer auf die Spezialisten gestützt, auch für die Masken, etwas anderes wäre nicht nachvollziehbar.
Das Gespräch führte Christoph Nufer.