Die Demonstration in Schaffhausen von letztem Wochenende schenkt ihr wieder Mut: «Es hat mich mega berührt. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute kommen», sagt Fabienne W. Die «Rundschau» hatte letzte Woche ihren Fall publik gemacht.
Zur Erinnerung: Am 29. Dezember 2021 wird Fabienne W. in der Wohnung eines Schaffhauser Rechtsanwalts von mehreren Männern brutal verprügelt. Überwachungskameras des Anwalts zeichnen die Tat auf. Die Männer sagen, die Frau habe randaliert. Man habe die Situation in Griff bekommen müssen.
Der Anwalt filmt die Misshandlungen teilweise mit seinem Handy. Ein solches Handyvideo liegt der «Rundschau» vor. Fabienne W. liegt am Boden, der Mann über ihr schreit sie an.
Fabienne W. zeigt die Männer an. Zwei Wochen später informiert sie die Polizei darüber, dass Videos der Attacke in Schaffhausen zirkulierten. Die Männer zeigten die Videos herum, es werde über sie geredet und gelacht. Die Behörden nehmen es zur Kenntnis, intervenieren aber nicht.
Mögliche Auskunftsperson hat Angst
Der Rechtsvertreter der Schaffhauser Behörden erklärt dazu: «Dieser Vorgang, so verwerflich er ist, erfüllt isoliert betrachtet wohl keinen Straftatbestand.» Eine Beschlagnahmung der Handys sei deshalb kaum möglich gewesen.
Mehr als ein Jahr nach der Tat hört Fabienne W. von jemandem, dass die herumgezeigten Videos viel umfangreicher seien als bekannt. Die Person, die wohl mehr weiss, will allerdings bei der Polizei nicht aussagen. «Ich will nämlich nicht, dass mir irgendwann irgendetwas passiert.» So steht es in den Akten.
Eine Auskunftsperson, die aus Angst nicht aussagen will: Die Behörden nehmen es zur Kenntnis, werden aber nicht weiter aktiv. «Als Zeuge vom Hörensagen war er für die Erstellung des Sachverhalts wertlos.» Es sei ein Ermessensentscheid, ob in einem solchen Fall eine Befragung durchgeführt werde. Und: Die befürchtete Retorsionsmassnahmen seien vage geschildert worden, schreiben die Behörden der «Rundschau».
Bundespolitikerinnen werden aktiv
An der Demonstration in Schaffhausen zeigt sich am Wochenende, dass Fabienne W. nicht allein ist. Ihre Geschichte hat dazu geführt, dass auch andere Frauen öffentlich erzählen, was ihnen passiert ist: Gewalterfahrungen, auch Vergewaltigungen. Und sie erheben Vorwürfe gegen Polizei und Behörden.
Der Fall beschäftigt auch die Bundespolitik. Die Nationalrätinnen Tamara Funiciello (SP) und Patricia von Falkenstein (LDP) reichen einen gemeinsamen Vorstoss ein. «Ich höre einfach, dass die Strafverfolgungsbehörden oft sehr unsensibel sind. Vielleicht nicht einmal bewusst», sagt von Falkenstein.
Die beiden fordern nationale Minimalstandards bei der Ausbildung. «Damit alle Opfer, unabhängig vom Kanton, Zugang haben zu Strafverfolgungsbehörden, die sensibilisiert sind für diese Thematik», so Funiciello.