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Feiern, bis der Arzt kommt Sehenden Auges in die zweite Welle?

Gassen werden zu Partymeilen, in Parks liegen Menschen dicht an dicht, kaum Masken im ÖV: Fachleute sind in Sorge.

Das schöne Wochenende war verlockend und auch die kommenden sommerlich warmen Tage sind es: raus gehen in die Bar oder den Park, das Einkaufscenter oder den See.

So gingen am Wochenende an vielen Orten die Coronaregeln vergessen: an der Zürcher Bahnhofstrasse etwa oder in der Basler Ausgangsmeile, der Steinenvorstadt.

Ein Verhalten wie in der Steinenvorstadt sei bedauerlich, sagt der Basler Sicherheitsdirektor Baschi Dürr: «Es wäre so schade, wenn alles umsonst wäre, was wir erreicht haben.» Dürr fürchtet eine grosse nächste Welle, wenn sich die Leute nun nicht mehr an die Massnahmen halten. «Wir appellieren nach wie vor an die Eigenverantwortung der Bevölkerung. Damit steht und fällt das ganze Management rund um die Coronakrise.»

Wir konnten ein Massenaufkommen von sehr schweren Fällen verhindern. Deswegen fehlt uns ein wenig die Erfahrung der schweren Auswirkungen dieses Virus
Autor: Christiane Meier Zürcher Kantonsärztin

Die Polizeidirektion der Stadt Basel erwägt nun temporäre Absperrungen für die kommenden Tage, etwa von Parks und öffentlichen Plätzen.

Bussen und Schliessungen drohen

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Der Basler CVP-Regierungsrat Lukas Engelberger ist Vizepräsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz der Kantone. Er hatte keine Freude an den Bildern von diesem Wochenende und verspricht für seinen Kanton Nachbesserungen: «Lösungen können insbesondere verbesserte bauliche Massnahmen sein.» Bars, Restaurants und Geschäfte hätten mit Plexiglaswänden und Abstandsvorrichtungen improvisieren müssen. «Das lässt sich bestimmt noch verbessern.»

Aber auch die Sensibilität und die Disziplin in der Bevölkerung müssten verbessert werden. «Allenfalls müssen Sanktionen ausgesprochen werden.» Dabei denkt Engelberger an Bussen, und – wenn nötig – auch an Schliessungen.

Auch die Läden lockten

An anderen Orten in der Schweiz erfreuten sich die Menschen ebenfalls am schönen Wetter und strömten in die wieder geöffneten Läden, oft ohne Abstände einzuhalten. Die Disziplin in der Bevölkerung lasse nach, beobachtet die Zürcher Kantonsärztin Christiane Meier. Sie hat eine Erklärung dafür: Die Krise habe die Schweiz nicht so stark getroffen wie befürchtet.

«Wir konnten einen Massenaufkommen von sehr schweren Fällen verhindern. Deswegen fehlt uns ein wenig die Erfahrung der schweren Auswirkungen dieses Virus. Ich glaube, im Moment nimmt man es etwas auf die leichte Schulter», sagt Meier. Denn das Virus könne sich rasch wieder ausbreiten.

Seepromenade in Lausanne
Legende: Menschen drängten sich am Wochenende Schulter an Schulter: im Ausgang, im Einkaufszentrum, an den Seen (wie hier in Lausanne). Und nun kommen zwei weitere verlängerte Wochenenden. Die Polizei bereitet sich auf schwierige Tage vor. Keystone

SBB plant Kampagne fürs Maskentragen

Auch in den Zügen zeigt sich, dass sich Reisende nicht sehr defensiv verhalten. Die SBB bestätigt, dass nur eine Minderheit der Fahrgäste eine Maske trägt, obwohl das empfohlen wird, wenn sich die Waggons stark füllen.

Die Bundesbahnen planen deshalb eine Kampagne, sagt Sprecher Reto Schärli – mit folgender Aussage: «Eine Schutzmaske gehört heutzutage dazu, wenn man im ÖV unterwegs ist. Und man trägt sie auf jeden Fall, wenn die Abstände nicht eingehalten werden können. Dann ist Reisen im ÖV sicher möglich.»

«Zweite Welle ist nicht vorprogrammiert»

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Die Corona-Disziplin hat an manchen Orten arg nachgelassen. Die Fachwelt ist in Sorge und spricht von Leichtsinn. Gerade auch, weil diese Woche wieder frühsommerlich warm und damit verlockend ist. Ist damit eine zweite Welle vorprogrammiert? «Nein», sagt SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis. Denn vorprogrammiert sei in dieser Pandemie nichts. «Der weitere Verlauf hängt aber stark von unserem Verhalten ab.»

Die letzten zwei Monate zeigten für Theis vor allem eines: Die Massnahmen haben gewirkt. Nun wurden einige davon gelockert. «Und wir begegnen uns anders als noch vor der Pandemie.» Die offene Frage sei nun, wie stark noch gelockert werden könne, und wie nahe wir uns kommen dürften. «Klar ist, dass man den Zwei-Meter-Abstand einhalten sollte. Die Leute werden hier ein bisschen nachlässig», so Theis. Wie schlimm das sei, wisse man aber noch nicht: «Da muss man offen sein. Aber: Je mehr Abstand, desto besser sind wir vor einer Ansteckung geschützt.»

Eine Kampagne reiche nicht aus, kritisiert der Zugpersonalverband. Er fordert eine Maskenpflicht, auch zum Schutz der Kondukteure, die in ihrem Arbeitsalltag mit zahlreichen Menschen Kontakt haben müssen und deshalb stark exponiert sind.

Nachlässigkeit führt dazu, dass die Gefahr steigt, dass die Schraube wieder angezogen wird. Der Kampf gegen das Coronavirus hat die erste Phase erfolgreich überwunden, aber eine ebenso entscheidende, noch längere Phase steht bevor.

Info 3 vom 18.05.2020, 12:00 Uhr

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