Die Wohnungsnot in den Gemeinden nimmt offenbar immer drastischere Ausmasse an. In der Gemeinde Seegräben im Zürcher Oberland muss nun ein Mieter seine 5.5-Zimmer-Wohnung verlassen, weil die Gemeinde als Eigentümerin der Liegenschaft dort eine Flüchtlingsfamilie unterbringen will. Per Ende Mai muss der Mieter seine Wohnung räumen.
Gemeindepräsident Marco Pezzatti (FDP) begründet das Vorgehen gegenüber SRF mit den klaren Vorschriften des Bundes. Gemeinden im Kanton Zürich seien angehalten, Platz für Asylsuchende in der Höhe von 0.9 Prozent ihrer eigenen Bevölkerung anbieten zu können: «In unserer Gemeinde sind das etwa 13 Personen.» Das Problem: In Seegräben leben aktuell nur 9 Geflüchtete. Die Quote sei damit nicht erfüllt, so der Gemeindepräsident.
«Vor diesem Hintergrund haben wir zahlreiche Inserate geschaltet, haben private Immobilienfirmen angeschrieben und mit Privatpersonen gesprochen», so Pezzatti weiter. Man habe viel unternommen, gebracht habe es allerdings nichts, weshalb man dem Mieter kündigen musste. «Wir bedauern diesen Schritt sehr», sagt Pezzatti. Aber es bleibe der Gemeinde einfach nichts anderes übrig.
Was erstaunt: Die Zürcher Sicherheitsdirektion widerspricht der Begründung von Marco Pezzatti. Wie es dort auf Anfrage von SRF heisst, erfülle die Gemeinde Seegräben die Aufnahmepflicht aktuell bereits klar.
Gemeinden suchen händeringend nach Unterkünften
Für Pezzatti steht fest: Die Gemeinde Seegräben steht nicht alleine da. Viele Gemeinden hätten Mühe, die Aufnahmequote für die Unterbringung von Flüchtlingen zu erfüllen. Das bestätigt auch Jörg Kündig, Präsident des Zürcher Gemeindepräsidien-Verbands. Der Vorfall in Seegräben sei «ein Symptom für die Situation im Kanton Zürich», sagt er. «Die Gemeinden sind, was die Wohnraumsuche für geflüchtete Menschen angeht, am Anschlag.»
Die Gemeinden sind, was die Wohnraumsuche für geflüchtete Menschen angeht, am Anschlag
Wohnungen im Kanton Zürich seien grundsätzlich knapp und eher teuer, sagt Kündig. Dazu komme aktuell noch die grosse Zahl von Geflüchteten, sodass kaum Wohnraum verfügbar sei. Es seien zwingend Massnahmen auf kantonaler und nationaler Ebene zu treffen, so Kündig weiter. Er stellt beispielsweise infrage, warum der Bund dem Kanton Zürich als bevölkerungsreichstem Kanton so viele Flüchtlinge zuweist – gerade weil dort Wohnraum knapp und teuer ist.
Erinnerungen an den Fall Lörrach
Die Gemeinde Seegräben stellt in der Schweiz bislang einen Einzelfall dar, ein ähnlicher Fall hat sich aber jüngst auch im deutschen Lörrach nahe der Schweizer Grenze zugetragen. Dort sollen gleich 40 Mieterinnen und Mieter aus ihren Wohnungen ausziehen, weil die Gemeinde Platz für Geflüchtete braucht.
Allerdings war der Abriss dieses Wohnkomplexes schon lange geplant, da die Gebäude aus der Nachkriegszeit stammten und «am Ende ihres Zyklus» seien, wie der Geschäftsführer von «Wohnbau Lörrach», Thomas Nostadt sagte.
Die Stadt hat den Betroffenen aber zugesichert, für modernen und kostengünstigen Ersatz zu sorgen. Trotzdem: Die Mieterinnen und Mieter haben eine Petition gestartet, um in ihren Wohnungen bleiben zu können.