Neben bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsvertretern fordert nun auch der oberste Gewerkschafter, Pierre-Yves Maillard, dass die Schweiz langsam aus dem Corona-Shutdown zurückkehrt. Erste Lockerungen sollten möglich sein, ist Maillard überzeugt.
SRF News: Wo genau möchten Sie Lockerungen sehen?
Pierre-Yves Maillard: Der Bundesrat sagt selber, dass gewisse Lockerungsschritte möglich scheinen. Es ist nun seine Aufgabe, diese Schritte zu definieren. Wir wünschen uns aber eine verständliche Strategie, mit der die wirtschaftlichen und sozialen Schäden besser entschädigt werden. Die jetzige Situation ist nicht länger tragbar ohne einen Ausbau der Entschädigung.
Sie haben eine Strategie angesprochen. Was genau sollte darin stehen?
Klar ist es schwierig zu definieren, wie lange das alles noch dauern wird. Aber der Bundesrat soll klar kommunizieren, ab wann wieder geöffnet werden kann. Er soll definieren, ob die jetzigen Einschränkungen noch monatelang dauern werden, da wir bis zur Impfung eines Grossteils der Bevölkerung abwarten müssen, oder ob die Strategie mit verschärften Massnahmen zum Beispiel nur gedacht ist, bis alle Risikopersonen geimpft sind.
Es gibt fast eine halbe Million Menschen, die mit 20 Prozent Lohnkürzung leben müssen – und das seit Monaten.
Das ist eine entscheidende Frage. Sollte es noch lange so weitergehen, müssen Betroffene besser entschädigt werden. Es gibt fast eine halbe Million Menschen, die mit 20 Prozent Lohnkürzung leben müssen – und das seit Monaten.
Gewisse Experten sagen, eine früh festgelegte Strategie sei nicht möglich, weil man die aktuelle Lage mit den Virus-Varianten beobachten müsse.
Dafür haben wir Verständnis. Wir sind keine Epidemiologen, sondern denken als Gewerkschafter an die Mitarbeitenden. Wir sagen, dass Massnahmen nicht nur global gedacht werden sollen. Auch am Arbeitsplatz braucht es bessere Schutzmassnahmen – und wir müssen gewährleisten, dass die Verschärfungen besser kontrolliert werden.
Gegenüber dem «Blick» sagten Sie, eine «Null-Risiko-Strategie» sei nicht möglich. In welchen Branchen wären gewisse Risiken tragbar?
Auch das ist Sache des Bundesrates. Wir sagen klar: Es braucht eine Perspektive. Wir müssen ungefähr wissen, wie lange es anhand welcher Kriterien noch dauern könnte.
Sie sind auch SP-Nationalrat. Im Corona-Positionspapier, über das an der Delegiertenversammlung gesprochen wird, heisst es, der Schweizer Weg sei gescheitert. Stimmen Sie dem zu?
Eine endgültige Bilanz werden wir erst in einigen Monaten ziehen können. Ich plädiere aber für Bescheidenheit. Ich denke nicht, dass der Bundesrat alles falsch gemacht hat, im Gegenteil. Im Vergleich mit anderen Ländern steht die Schweiz nicht viel schlechter da.
Es braucht eine Perspektive.
Im Papier heisst es, weitere Einschränkungen der Wirtschaft seien bedauerlich, aber unvermeidlich. Das Gegenteil von dem, was Sie als Gewerkschafter fordern.
Wir wissen, dass es weiterhin Einschränkungen geben wird. Aber diese Massnahmen sollen zugunsten von allen getroffen werden. Das Ziel ist der Schutz der gesamten Bevölkerung. Warum sollten also nur 20 Prozent der Menschen für diesen Schutz bezahlen müssen? Darum sind rasche Entschädigungen so wichtig.
Was fordern Sie als oberster Gewerkschafter konkret?
Die tiefen Einkommen bis 3500 Franken erhalten derzeit anstatt 80 Prozent weiterhin den vollen Lohn, bis 4300 Franken bekommt man etwas mehr als 80 Prozent. Dieses Programm läuft Ende März aus und muss unbedingt verlängert werden. In der Frühlingssession werden wir fordern, dass dieser Grenzbetrag für Einkommen bis 5000 Franken erhöht wird.
Das Gespräch führte Hans-Peter Künzi.