Seit der Machtübernahme der Taliban mehren sich in der Schweiz die Stimmen, die eine unbürokratische Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan fordern. Nicht nur in Politik und Gesellschaft wird das Thema kontrovers diskutiert. Auch in der reformierten Kirche treibt es viele um.
Doch von der evangelischen Kirche Schweiz war lange nichts zu Afghanistan zu hören. Bei ref.ch , einem unabhängigen Newsportal, ist zu lesen, dass sich die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) nicht habe äussern wollen.
Das kommt nicht überall gut an. Skeptisch sieht dies zum Beispiel Christoph Knoch. Er ist Pfarrer in Muri-Gümligen und vertritt die reformierte Kantonalkirche Bern-Jura-Solothurn im nationalen Kirchenparlament, der Synode.
Wer, wenn nicht die Kirche, soll sich denn um Witwen, Waisen und Fremde kümmern?
«Wer, wenn nicht die Kirche, soll sich denn um Witwen, Waisen und Fremde kümmern?», fragt er. Dass sich die EKS mit einer klaren Stellungnahme schwertut, sei seltsam. Knoch und seinen Kirchengemeinderat hat das nun veranlasst, der obersten Kirchenleitung zu schreiben. Zudem hat er für die nächste Sitzung des Kirchenparlaments zwei Fragen eingegeben.
Wir sind keine Spezialisten für Afghanistan.
Knochs Kritik richtet sich auch gegen EKS-Präsidentin Rita Famos. Diese verteidigt die abwartende Haltung der Kirche: «Wir sind keine Spezialisten für Afghanistan.» Anders sei das etwa im Fall Syrien. Dort habe man viele Partnerkirchen, mit denen man seit Jahren im Gespräch sei.
Kirche wollte erst einordnen
Man habe zudem erst abklären wollen, was andere Organisationen tun, etwa der Bund. Auch habe man die Situation in die anderen humanitären Krisen dieser Welt einordnen wollen. Famos nennt Haiti und Libanon als Beispiele. Dort seien die Hilfswerke der Kirche bereits aktiv.
Famos’ Argumente vermögen ihre Kritikerinnen und Kritiker nicht zu überzeugen. Das liegt möglicherweise auch daran, dass das evangelische Hilfswerk HEKS öffentlich mehr Schutz von Afghaninnen und Afghanen forderte. So verlangt es etwa sichere Fluchtwege für 5000 Notleidende. Zudem sollen afghanische Asylsuchende, deren Antrag in der Schweiz bereits abgelehnt wurde, nun vorläufig aufgenommen werden.
Bei Moria war die Kirche politischer
Als vor rund einem Jahr auf der griechischen Insel Lesbos das Flüchtlingslager Moria niederbrannte, reagierte die reformierte Kirche noch anders. Damals war innerhalb der EKS unbestritten, eine Resolution zur Unterstützung der Geflüchteten zu befürworten.
Dass sich die oberste Kirchenleitung nun zurückhält, könnte auch mit der Konzernverantwortungs-Initiative zusammenhängen. Die Kirchen waren in diesem Abstimmungskampf sehr engagiert. Dafür wurden sie mehrfach kritisiert. Sie sollten sich nicht politisch einmischen. Entsprechende Vorstösse gab es etwa in den Kantonen Bern oder St. Gallen.
EKS-Präsidentin Rita Famos betont, die Zurückhaltung bei afghanischen Geflüchteten habe nichts mit dieser Diskussion zu tun. «Wir haben immer gesagt, wir sind keine politische Partei. Aber wenn die Kirche sich äussert, ist das manchmal auch politisch», sagt sie. Famos nennt die Verhüllungsinitiative und die Ehe für alle als Beispiele.
Wenn die Kirche sich äussert, ist das manchmal auch politisch.
Vielleicht herrscht nach dem heutigen Sonntag in der Afghanistan-Frage mehr Klarheit. Die oberste Kirchenleitung hat angekündigt, sich im Kirchenparlament dazu äussern zu wollen.