Der Nachrichtendienst warnt vor zunehmender linksextremer Gewalt in der Schweiz. Der letzte Vorfall: Elf verletzte Polizisten am vergangenen Sonntag bei Krawallen vor der Reithalle in Bern. Die «Rundschau» hat sich in der linksradikalen Szene umgeschaut.
Schauplatz Winterthur, 1.-Mai-Demo: Mehrere 100 Personen versammeln sich in der Altstadt zum Umzug. Zuvorderst SP und Gewerkschaften, es geht um Wohn- und Lohnpolitik. Dahinter ein Sammelsurium von linken Gruppen: Kurden, Revolutionäre, Autonome. «Wir sind der revolutionäre Block. Wir müssen einen Bruch machen mit den etablierten Parteien», brüllt es aus der Lautsprecheranlage. Der Umzug: Dominiert von diesem Block. Etliche Personen sind vermummt, man sieht Feuerwerk, Sprayereien, Aggression.
Aktionsformen gegen Eigentum sind eine legitime Form des Protests.
Juso-Politikerin Miriam Rizvi sympathisiert mit solchen Aktionen. «Es ist wichtig, dass man der Gesellschaft zeigen kann, dass Wut vorhanden ist.» Und wenn dabei Dinge zu Bruch gehen, wenn es Ausschreitungen gibt? «Aktionsformen gegen Eigentum sind auch eine legitime Form des politischen Diskurses», meint Rizvi rechtfertigend. «Es ist auch eine Ohnmachtsantwort, wenn man sonst keinen Einfluss hat.» Gewalt gegen Mensch und Tier hingegen schliesst Rizvi aus.
Rizvi ist eine umstrittene Figur: Einerseits für die Juso im Stadtparlament St. Gallen, andererseits aktivistisch unterwegs. Rizvi macht einen Spagat, wo sonst Linien gezogen werden: zwischen linksradikalen Gruppen und etablierten Parteien.
Ein weiteres Gesicht der Juso ist Melanie Del Fabro. Die Aargauerin sitzt im Vorstand der kantonalen Juso – und schreibt von sich auf Instagram: «Aus Versehen linksextrem.» «Ich werde einfach oft als linksextrem bezeichnet», sagt sie dazu. «Und ich finde, in der Welt, wo die Krisen sich zuspitzen, braucht es radikale Lösungen.» Klimakatastrophe, schrumpfende Frauen- und Queer-Rechte, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – diese Themen bewegten sie.
«Man muss auch mal etwas anprangern können», meint sie zu den Grenzen bei den Aktionen. «Ich persönlich würde es nicht machen, aber wenn einmal ein bisschen gesprayt wird, ist es die eine Sache. Rechtsextreme greifen die Menschen an. Das sind für mich verschiedene Welten.»
Was sagt der Juso-Präsident?
Aber auch die Juso kann sich nicht dezidiert von allen illegalen und gewalttätigen Aktionen distanzieren. Zwar sagt Präsident Nicola Siegrist, die Juso würde keine Sachbeschädigung und Gewalt befürworten. Er akzeptiert aber auch, dass sich ein Teil der Juso in Grauzonen bewegt: «Das finde ich je nach Thema gerechtfertigt, etwa wenn ein Waldstück oder ein Bankenplatz besetzt wird.»
Aktionen, die bei Miriam Rizvi zum Repertoire gehören. Seit Rizvi im März einen Strafbefehl erhalten hat, wird die Kritik lauter.
Oliver Wick von der jungen FDP in St. Gallen fordert ihren Rücktritt: «Man kann nicht vandalieren und Hausfriedensbruch begehen. Da muss man Konsequenzen ziehen.» Patrik Angehrn, Stadtparlamentarier für die Mitte, meint: «Das wiederholte Verstossen gegen klare Normen, die wir als gesetzgebende Gewalt vorgeben, finde ich nicht in Ordnung.»
Doch Rizvi bleibt vorerst im Stadtparlament und in der SP/Juso-Fraktion. Man sehe keinen Grund für einen Ausschluss, solange der Strafbefehl nicht rechtskräftig sei, sagt Fraktionspräsidentin Evelyne Angehrn.
Im Herbst sind in der Stadt St. Gallen Wahlen. Dann wird sich definitiv entscheiden, ob der Aktionismus Platz hat im Stadtparlament.