Die Schulstunde nach der 10-Uhr-Pause in der Klasse 5d beginnt in einem Kreis. Die 19 Kinder sitzen am Boden und hören aufmerksam zu, was sie an diesem Vormittag erwartet. Dann teilen die beiden Lehrerinnen Funda Walti und Beatrice Schuler die Klasse in zwei Gruppen auf.
Kinder bestimmen, wann sie die Prüfung schreiben
«Wer möchte heute die Überprüfung schreiben?», fragt Beatrice Schuler anschliessend in ihre Runde. Mehrere Kinder strecken auf. Ob die Kinder heute oder erst zu einem späteren Zeitpunkt die Prüfung schreiben, ist ihnen überlassen. Diejenigen, die heute keine Prüfung schreiben, arbeiten an ihren Kompetenzen.
In diesem Fall lösen sie selbständig Mathe-Aufgaben. Auch hier können die Kinder wählen, wo sie dies machen: an einem Tisch, am Boden oder im Gang. Die Kinder wirken konzentriert, lösen ihre Aufgaben ruhig.
Auch in der Gruppe von Funda Walti, die in einem anderen Klassenzimmer ist, arbeiten die Kinder selbständig an verschiedenen Themen in Englisch und Deutsch. Die Lehrerin geht von Tisch zu Tisch, dazwischen gibt es eine Auflockerung mit Jonglierbällen.
Grün, Blau, Gelb statt 1 bis 6
Funda Walti und Beatrice Schuler arbeiten bereits im dritten Jahr mit diesem Modell ohne klassischen Frontalunterricht. Sie setzen ganz auf selbständiges Lernen und Gespräche und sie verzichten auch ganz auf die klassischen Noten von 1 bis 6.
Anstelle dieser Noten kommen drei verschiedene Farben zum Zug: Grün, wenn sich ein Kind in einem Fach in den Grundanforderungen bewegt, Blau für erweitere Anforderungen und «Expertinnen und Experten» erhalten die Farbe Gelb.
Erst am Ende des Schuljahres gibt es eine klassische Note im Zeugnis. Diese ist gesetzlich vorgeschrieben und auch für den Übertritt an die nächste Schulstufe relevant.
«Die Kinder erkennen anhand ihrer Kompetenzen, was sie können oder nicht und nicht anhand einer Zahl», sagt Beatrice Schuler. Der ganze Prozess werde auch eng begleitet.
«Wir sind immer im Austausch mit den Kindern und geben ihnen nach einer Überprüfung eine Rückmeldung.»
Und die Eltern? Hier gab es zu Beginn durchaus Skepsis und kritische Stimmen, sagen die beiden Pädagoginnen. Unterdessen erhielten sie aber in Elterngesprächen viele positive Rückmeldungen. «Eltern erzählen, dass ihr Kind es toll findet, wenn es im eigenen Tempo arbeiten kann», erzählt Walti.
Lehrpersonen können Unterrichtsform wählen
An der Primarstufe Gotthelf in Basel wird unterdessen an mehreren Klassen ohne Noten unterrichtet. Und auch an vielen anderen Schulen in der Schweiz werden neue Modelle ohne Leistungsdruck umgesetzt. So wird in der Stadt Luzern ab 2025 zuerst auf der Primarstufe und später auch in der Sek ganz auf Noten verzichtet. Auch an einer Schule in Bern gibt es seit letztem Jahr keine Noten mehr.
In Basel ist der Entscheid den Schulen, respektive den Lehrerinnen oder Lehrern, überlassen. «Wir haben keine Vorgaben. Alle, die so arbeiten wollen, können das auch», sagt der Co-Schulleiter der Primarschule Gotthelf, Philip Kaeser.
Der Schulmorgen in der Klasse 5d geht zu Ende, wie er begonnen hat: Im Kreis am Boden vor der Wandtafel besprechen die Lehrerinnen mit den Kindern den Morgen und was ihnen geblieben ist. «Die Übersetzung der Englischwörtli ins Deutsche hat richtig Spass gemacht», erzählt ein Kind in der Runde. «Ich fand toll, dass ich Geschichten schreiben konnte», meint ein anderer Schüler. Dann geht es ab in die Mittagspause.