In der Schweiz verfügen immer mehr Menschen über einen Hochschulabschluss oder eine höhere Berufsbildung. Diese Entwicklung dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Das zeigen die neuen Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung des Bundesamts für Statistik (BFS).
Demnach werden im Jahr 2045 über 60 Prozent eine sogenannte Tertiärausbildung haben. Heute sind es knapp 50 Prozent. Ist diese Entwicklung positiv für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz? Oder findet eine Akademisierung statt, die letztlich den Fachkräftemangel befeuern kann?
Wichtig ist, wonach der Arbeitsmarkt fragt
Zwar nimmt der Anteil der Menschen mit einem Hochschuldiplom zu. Man müsse aber differenzieren, sagt Bildungsökonom Stefan Wolter: «Das Wachstum bei diesen Abschlüssen kommt nicht von den akademischen Ausbildungen der Universitäten. Es ist mehrheitlich getrieben durch die Fachhochschulen und einen konstant hohen Anteil der höheren Berufsbildung.»
Zudem gebe es eine «Tertiärisierung» bei der Ausbildung von Lehrkräften an den pädagogischen Hochschulen, führt Wolter aus. Auf dem Arbeitsmarkt seien diese Menschen zurzeit auch gefragt. Das zeigten Arbeitsmarktanalysen, so der Bildungsökonom. Nachfrage und Angebot seien also im Einklang.
In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass die Anforderungen in den Jobprofilen deutlich gestiegen sind.
Auch Rudolf Minsch, Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, sagt, Hochqualifizierte seien gefragt: «In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass die Anforderungen in den Jobprofilen deutlich gestiegen sind.» Mittlere Qualifikationsniveaus seien weniger gefragt, hohe dagegen sehr. «Deswegen ist eine verstärkte Ausbildungsoffensive zu begrüssen.»
Minsch findet jedoch, man müsse sich fragen, ob die Art der Ausbildung, wie wir sie heute haben, noch zukunftsfähig sei. So hinterfragt der Chefökonom von Economiesuisse, ob es zweckmässig ist, durchschnittlich sechseinhalb Jahre bis zum Masterabschluss zu studieren. «Wäre es nicht zweckmässiger, Studium und Ausbildung zu kombinieren, wie das viele Fachhochschulen machen?». Wenn Studierende vermehrt in den Betrieben tätig seien, würde das den Fachkräftemangel lindern.
Ausbildung ist das Gebot der Zeit
Regula Leemann ist emeritierte Professorin für Bildungssoziologie. Sie betont, dass es in der Schweiz auch einen Fachkräftemangel in Berufen mit Hochschulausbildung gibt: Ärztinnen, Psychologen, Lehrerinnen beispielsweise. «Wir importieren hier rund ein Drittel der benötigten Fachkräfte.» Das sei gesellschaftspolitisch problematisch, findet Leemann. Schliesslich würden andere Länder somit wiederum ihre Fachkräfte verlieren.
Daher fordert sie, dass auf allen Stufen dafür gesorgt wird, dass junge Menschen in die Bildung investieren: «Ein Zehntel der jungen Erwachsenen schliessen nach wie vor gar keine nachobligatorische Ausbildung ab. Und von denen, die das tun, sollten sich mehr im Tertiärsystem weiter qualifizieren – seien das Hochschulen oder die höhere Berufsbildung.» Gemäss den Analysen des Bundesamtes für Statistik tritt dieses Szenario auch ein.