Eigenmächtig den Weg aus der Armut schaffen, mit Fleiss und Lernen, etwa in einer Weiterbildung? Das klingt gut. Für viele Armutsbetroffene ist dieses Ziel aber in weiter Ferne, sagt Aline Masé, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas. Manchmal, weil sie schon nur die Grundkompetenzen nicht mitbringen. «Da geht es einerseits um Lesen, um Verständnis von einfachen Texten, um einfache Rechenaufgaben, aber auch um digitale Kompetenzen.»
Die Bildungsangebote in der Schweiz seien schlicht nicht niederschwellig genug. Oder eine Weiterbildung sei aus anderen Gründen keine Option. Armutsbetroffene sind oft alleinerziehende Mütter oder Menschen mit Migrationshintergrund.
Zu wenig Ressourcen – auf verschiedenen Ebenen
«Diese Menschen sind in erster Linie damit beschäftigt, ihre Existenz zu sichern. Sie arbeiten vielleicht in einem prekären Job, verdienen wenig. Dann kommt hinzu, dass sie vielleicht familiäre Verpflichtungen haben, Kinder betreuen müssen. Da bleibt schlicht keine Zeit und keine emotionale Ressource, um sich mit Bildung überhaupt zu beschäftigen», sagt Masé. Sie sieht sowohl den Staat als auch die Arbeitgeber in der Pflicht.
Auch Peter Streckeisen, Professor am Departement Soziale Arbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sagt, es fehle den Betroffenen oft an Zeit und finanzieller Unterstützung.
«Heute wird den einzelnen Personen oft auferlegt, alles unter einen Hut zu bringen. Und das ist sehr, sehr schwierig. Gerade für Personen, die aus benachteiligten Situationen kommen und viele Hürden überwinden müssen. Um ein Studium zu absolvieren, beispielsweise, wird sehr viel von ihnen verlangt.»
Bildung allein reicht oft nicht
Der Zugang zu einer Weiterbildung könne sicherlich ein Weg aus der Armut sein. Aber Streckeisen betont auch, dass Bildung nicht einfach das Allheilmittel im Kampf gegen Armut sei. Unmittelbar würden auch einfach gute Löhne und Arbeitsbedingungen helfen.
Dass es nicht immer an der fehlenden Bildung liegen muss, dass jemand in die Armut rutscht, zeigt das Beispiel von Katharina Di Martino. «Ich bin seit bald einem Jahr auf Arbeitssuche. Ich bin Kunsthistorikerin mit einem Masterabschluss und stelle fest, dass sich da ganz viele verschiedene Schwierigkeiten stellen, damit ich im Berufsleben Fuss fassen kann.»
Sie ist alleinerziehende Mutter und konnte während des Studiums wenig Arbeitserfahrung sammeln. Sie konnte es sich auch nicht leisten, neben dem Studium ein schlecht bezahltes Praktikum zu absolvieren. Diese fehlende Arbeitserfahrung bereitet ihr bei der Stellensuche nun Schwierigkeiten. Sie bezieht derzeit Sozialhilfe.
Katharina Di Martino wünscht sich mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt. Und: «Es braucht generell ein Umdenken, dass Bildung nicht unbedingt altersabhängig sein sollte. Sondern auch Menschen, die bereits eine Erstausbildung abgeschlossen haben, sollten im späteren Lebensverlauf noch die Möglichkeit haben, sich beruflich umzuorientieren und entsprechend zu etablieren.»
Armutsbetroffene Personen, die es nicht eigenmächtig aus der Armutsspirale schaffen, mögen verschiedene Hintergründe haben. Aber eines haben viele gemeinsam: Es fehlt ihnen an Zeit und Geld, um den Ausweg zu schaffen.