Colin Powell, Andreas Herczog oder Alice Schmidli-Amrein: Sie alle starben nach einer Coronavirusinfektion, obwohl sie vollständig geimpft waren. Wie gross ist das Risiko eines Impfdurchbruchs wirklich? Wie gut schützt die Covid-Impfung vor schweren Verläufen? SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel zum aktuellen Stand der Forschung.
Wie ansteckend ist die Delta-Variante? Delta ist deutlich ansteckender als die Virusvariante, welche die erste Welle in Europa ausgelöst hat. Bei dieser ersten Variante in Europa steckte ein Infizierter etwa drei weitere Personen an, bei Alpha waren es mehr: etwa vier bis fünf Personen. Mit Delta Infizierte stecken fünf bis acht Personen an. Das heisst, das Virus ist effizienter geworden. Das hat sehr wahrscheinlich auch einen Einfluss auf die Zahl der Impfdurchbrüche. Will heissen, es brauchte gar nicht die gefürchteten Varianten, die den Immunschutz völlig umgehen, sogenannte immune escapes. Es reicht aus, dass das Virus ansteckender geworden ist, um den Immunschutz nach der Impfung zu schwächen.
Wie hoch ist das Risiko, sich trotz einer Impfung mit SARS-CoV-2 anzustecken? Das Risiko für eine Ansteckung ist da, aber sehr schwer zu beziffern, weil mehr als die Hälfte der Ansteckungen bei Geimpften häufig unbemerkt verlaufen. Die Zahl symptomatischer Infektionen, die zur Hospitalisierung führen, ist und bleibt unter doppelt Geimpften aber nach wie vor sehr niedrig.
Gibt es mehr Impfdurchbrüche als erwartet? Die Frage «wie viel wurde erwartet?» ist schwer zu beantworten. Die Coronaimpfungen, die es jetzt gibt, waren der erste Versuch überhaupt, viele Menschen auf einmal gegen ein Coronavirus zu impfen. Davor hatte es nur Impfstoffkandidaten gegen zwei andere Coronaviren gegeben, MERS und SARS-1, die aber nie breit eingesetzt wurden. Wie stark ein Impfschutz ausfallen würde, und wie lange er anhalten würde, konnte man gar nicht abschätzen.
140 doppelt Geimpfte und 78 einfach Geimpfte sind nach einer Corona-Infektion verstorben.
Wie viele Impfdurchbrüche gibt es in der Schweiz? Erfasst werden aktuell (seit 11.10.) nur Impfdurchbrüche von Patienten, die im Spital behandelt werden. Personen mit Impfdurchbruch, die beim Hausarzt behandelt werden oder sich zu Hause auskurieren, werden nicht mehr erfasst. Auch davor wurden sicher nicht alle Impfdurchbrüche erfasst, Personen mit positivem Test in einem Testzentrum wurden etwa nicht systematisch nach ihrem Impfstatus gefragt. Das heisst, dass die Zahl der Impfdurchbrüche sicher unterschätzt wird und wurde. Doppelt Geimpfte, die nach der Infektion hospitalisiert werden mussten, gab es bisher 664. 140 doppelt Geimpfte und 78 teilweise Geimpfte sind nach einer Corona-Infektion verstorben.
Sind Impfbooster die richtige Möglichkeit, um Impfdurchbrüche zu bekämpfen? Nachgewiesen ist, dass Booster die Menge an Antikörpern steigern können, wenn diese mit der Zeit nach der zweiten Dosis abgesunken war. Eine Studie aus den USA zeigt zudem, dass beim Pfizer-Impfstoff ein Booster auch die Zahl der Erkrankungen deutlich senkt, verglichen mit Personen, die nur zwei Impfdosen erhalten haben. Zudem legen Daten aus Israel nahe, dass dort die dritte Impfung das Infektionsgeschehen deutlich gebremst hat.
Wichtig zu beachten ist: Es gibt die harmlosen Impfdurchbrüche. Sie sorgen zwar dafür, dass das Virus weiter zirkuliert, weil die Betroffenen das Virus allenfalls weitergeben, aber die Betroffenen durchleben nur eine leichte Infektion und sie profitieren am Ende sogar davon: Die Infektion wirkt für sie wie eine Art natürlicher Booster. Wenn es nur diese Art von Impfdurchbrüchen wäre, gäbe es keinen Grund zur Sorge, und keinen Grund, Impfbooster anzubieten. Aber es gibt auch schwere Verläufe unter Personen mit Impfdurchbrüchen, dies vor allem bei Personen ab 60 Jahren – und davon rund die Hälfte bei den über 80-jährigen. Man muss damit rechnen, dass ihre Zahl steigt, je länger die Impfungen insgesamt zurückliegen.
Übertragen Geimpfte das Virus weniger als Ungeimpfte? Ja, wenn sich Geimpfte oder Genesene anstecken, übertragen sie nach aktuellem Wissensstand das Virus seltener. Dieser schützende Effekt ist allerdings unter der Delta-Variante weniger stark ausgeprägt als unter der zuvor in der Schweiz dominanten Alpha-Variante. Zudem lässt der Immunschutz mit der Zeit nach der Impfung nach. Wie schnell und wie stark ist Gegenstand der Forschung.
Wenn sich Geimpfte oder Genesene anstecken, übertragen sie nach aktuellem Wissensstand das Virus seltener.
Sind Ct-Werte (wie viel Virusmaterial jemand in Nase und Rachen hat) ein guter Indikator, um zu messen, wie ansteckend geimpfte Personen sind? Bei geimpften Personen ist es wahrscheinlich, dass man anhand der Ct-Werte das Infektionsrisiko überschätzt. Geimpfte haben zwar vielleicht viel Virusmaterial in Nase und Rachen, aber wie infektiös dieses wirklich ist, lässt sich daraus noch nicht ableiten, weil es durch Antikörper neutralisiert sein kann.
Wie hoch muss die Impfquote in der Schweiz sein, damit das Gesundheitssystem nicht mehr gefährdet ist und man alle Corona-Massnahmen aufheben kann? Das BAG hat am 1.10. dazu Schätzungen veröffentlicht: Demnach wäre bei den über 65-Jährigen eine Impfrate von 90 bis 95 Prozent nötig, um die Massnahmen aufzuheben. Stand 1.10. waren 88.5 Prozent dieser Altersgruppe mindestens einfach geimpft. Bei den 18-65-Jährigen wäre nach diesen Schätzungen eine Impfrate von rund 80 Prozent nötig. Stand 1.10. waren 71 Prozent dieser Altersgruppe mindestens einfach geimpft.
Es ist allerdings nicht ohne Fallstricke, einen genauen Wert anzugeben: Die Immunität nimmt ab, je länger eine Impfung zurückliegt, und neue, ansteckendere Varianten können das Bild verändern. Interessant sind die Erfahrungen, die andere Länder machen: In Grossbritannien haben rund 79 Prozent aller Menschen über 12 Jahren zwei Impfdosen bekommen, die Corona-Massnahmen sind weitgehend aufgehoben, die Fallzahlen steigen dort seit einigen Wochen deutlich, die Zahl der Hospitalisierungen nimmt auch zu, aber sehr langsam. In Dänemark liegt die Impfquote der über 12-Jährigen bei 85 Prozent, auch hier wurden die Massnahmen aufgehoben, und die Fallzahlen steigen, allerdings langsamer und auf niedrigerem Niveau als in Grossbritannien.