Ihr Grossvater hat eines der meistgespielten Stücke der Schweizer Volksmusik komponiert. Der Vater hat mit den «Huserbuebe» die Schweizer Volksmusik rund um die Welt getragen. Isabella Huser forderte zusammen mit jenischen Verbänden ein Gutachten über die Verfolgung der Jenischen in der Schweiz. Heute gilt das als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Bundesrat hat die Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Verfolgung der Jenischen in der Schweiz übernommen. Was bedeutet das für Sie?
Das ist ein Verdikt von historischer Bedeutung. Uns Jenischen ging es immer um die Ankerkennung der Geschichte. Bislang wurde diese planmässige Verfolgung ausgeblendet.
Was ist für Sie jenisch?
Jenische sind eine Volksgruppe, die traditionell eine reisende Lebensweise pflegt, mit einer eigenen Sprache, dem Jenischen. Typische Berufe sind Messerschleifer, Glockengiesser, Händler – oder Musiker, wie in meiner Familie. Jenische haben die Schweiz mit ihrer Kultur bereichert, sehr gut sichtbar in der Volksmusik. Fränzli Waser hat als einer der ersten die Handorgel in die Bündner Volksmusik eingeführt. Der Klarinettist Paul Kollegger gilt als Stammvater der Bündner Volksmusik. Auch Stephan Eicher hat jenische Vorfahren. Mein Grossvater hat eines der bis heute meistgespielten Stücke der Schweizer Volksmusik komponiert. Mein Vater Tony Huser und sein Bruder Franz sind als «Huserbuebe» in die Annalen der Schweizer Volksmusik eingegangen.
Uns Jenischen ging es immer um die Ankerkennung der Geschichte.
Es gibt Bilder der «Huserbuebe» in Sennenkutten, andere mit Pferd und Wagen – ist das kein Widerspruch?
Nein, ganz und gar nicht. Schweizer Jenische leben in der Schweiz, sehen aus wie Schweizerinnen und Schweizer.
Warum gaben Sie ihrem Roman den Namen «Zigeuner»?
Wörter haben eine Geschichte, manchmal verschiedene Geschichten. Viele Schweizer Jenische und Sinti nehmen das Wort für sich in Anspruch. Zigeuner ist für sie eine Eigenbezeichnung. Bei uns zu Hause hiess es: Wir sind «stolze Zigeuner». Als Kind meinte ich, das sei ein Wort: «Stolze-Zigeuner». Die Bezeichnung ist auch stark negativ besetzt. Gleichwohl war für mich klar, dass mein Buch «Zigeuner» heissen musste und die Mehrdeutigkeiten spiegeln sollte.
Wurden Ihrer Familie die Kinder nicht weggenommen?
Mein Vater erzählte uns Kindern diese Geschichte: Eines Tages schickte die Mutter ihre Kinder auf die Flucht: allein, in die Nacht. «Geht Richtung Süden, rastet nicht, bevor ihr über die Kantonsgrenze seid. Wir halten die Beamten auf und folgen nach.» Die Flucht ins Tessin gelang. Als Kind habe ich diese Geschichte nicht geglaubt.
Nun liegt ein Gutachten vor: Es war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Was braucht es jetzt?
Das Gutachten von Oliver Diggelmann stösst eine Türe auf. Jetzt kann es einen Neuanfang geben. Es braucht eine Versöhnungsarbeit und eine weitere Aufarbeitung dieser Geschichten, es gibt noch sehr viele Lücken. Für die heute noch Reisenden bräuchte es mehr Plätze – auch, um spontan zu halten.
Das Gespräch führte Karoline Arn.