Eingeschlagene Scheiben, brennende Container, fliegende Flaschen und sogar Molotow-Cocktails: Am Karfreitagabend randalierte in St. Gallen eine grosse Gruppe von Jugendlichen. Sie griff auch die Polizei an. Ist das einfach der Frust über die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie, der sich nun in Gewalt entlädt?
Gewaltforscher Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften relativiert, denn solche Ereignisse habe es auch schon vor der Pandemie gegeben, etwa vor ein paar Jahren in Zürich.
Es geht vor allem um Action
«Es sind junge Männer, die sich über soziale Netzwerke verabreden. Es geht um Erlebnisgewalt», sagt Baier. Dabei werde die Polizei geradezu als Gegner gesucht. Aber natürlich spiele jetzt auch die Pandemie eine Rolle, weil sie den Jugendlichen sehr viele Freiheiten wegnehme.
Auch Thomas Richter, Leiter des Schweizerischen Instituts für Gewaltprävention, ist überzeugt, dass die Gründe für die Gewaltausbrüche tiefer liegen. Denn bei Krawallen gehe es oft nicht um den Inhalt, sondern um die Action. «Dann fühlt man sich einer Gruppe zugehörig», sagt er.
Auch entstehe ein Gefühl, etwas zu bewirken, wenn man Dinge zerstören und sich der Polizei entgegenstellen könne, so Richter.
Kein spezifisches Ausländerproblem
Auf Videos aus St. Gallen sind auffällig viele Jugendliche mit Migrationshintergrund zu sehen, die bei den Ausschreitungen dabei waren. Doch die Experten sehen darin kein spezifisches Ausländerproblem.
Zwar neigten junge Menschen mit Migrationshintergrund etwas stärker zu Gewalt, sagt Baier. «Doch das hat seine Gründe – wie schlechtere Integration und Zukunftsperspektiven.» Auch seien sie womöglich von der Pandemie stärker betroffen.
Probleme auf die Strasse getragen
«Doch es gibt genauso Schweizer Jugendliche, die den Krawall suchen», so Baier. Deshalb seien die Gründe für den Karfreitagskrawall eher in anderen Faktoren als dem Migrationshintergrund zu suchen. Wenn, dann sei das Problem eher, dass gewisse Jugendliche schlechte Zukunftsperspektiven hätten – unabhängig von ihrer Herkunft.
Und Richter vom Institut für Gewaltprävention betont: «Wenn jemand es nötig hat, derart gewalttätig auf der Strasse aufzutreten, dann hat er selber sehr erhebliche Probleme.» Sowieso seien bei solchen Ausschreitungen oft alle sozialen Schichten vertreten.
Grenzen müssen aufgezeigt werden
Beide Experten betonen, dass sie die Gewalt verurteilen. Und es sei gut, dass die Polizei durchgreife, betont Richter. Es sei wichtig, dass die Randalierenden zur Rechenschaft gezogen werden. «Sie müssen lernen, wo die Grenze ist. Wenn sie das sonst nicht lernen, setzt halt die Justiz die Grenze.»
Wichtig sei aber auch, dass die Behörden nun stärker auf die Jugendlichen zugingen und ihre Anliegen aufnähmen, ergänzt Baier. Man müsse darüber nachdenken, wie man die Jugend bei den Coronamassnahmen besser einbinden könne – auch wenn das direkt nichts mit den Krawallen von St. Gallen zu tun habe. «Das ist eine wichtige Massnahme, um die Jugend jetzt mal richtig hören zu können.»
Auch glaube er nicht, dass es jetzt eine «Epidemie an Krawallen» in der Schweiz komme. Letzteres hoffen auch die St. Galler Behörden.