Tatiana muss den gesamten Hausrat ihrer 4-Zimmerwohnung in einem gemieteten Raum zwischenlagern. Ihre alte Wohnung hat sie gekündigt und eine neue findet sie nicht. Seit über einem halben Jahr sucht sie intensiv für sich, ihre Teenager-Tochter und ihre Katze eine Wohnung in Zürich und Umgebung. Vergeblich.
Die alleinerziehende Pflegefachfrau hatte sich für einen Umzug entschieden, wegen des langen Arbeitsweges und der Privatschule ihrer Tochter. Jetzt steht sie ohne Wohnung da.
Als Notlösung hat sie sich vorübergehend in einem Hotel am Stadtrand einquartiert. Nie hätte sie damit gerechnet, so rasch in eine dramatische Lage zu kommen. «Ich dachte, es sei einfacher eine Wohnung zu finden – als Pflegefachfrau mit Festanstellung», sagt sie gegenüber der «Rundschau». «Die Realität ist jedoch ernüchternd. Ich bekomme nur Absagen.»
Dutzende Bewerbungen habe sie geschrieben, zahlreiche Wohnungen angeschaut, ohne Erfolg. Sie sucht eine 3-Zimmerwohnung für maximal 1700 Franken. Mehr, sagt sie, gebe das Budget nicht her.
Wohnungsnot trifft Mittelschicht
Die Wohnungsnot trifft nicht mehr nur Menschen, die sich mit kleinem Einkommen über Wasser halten müssen, sondern vermehrt auch Mieterinnen und Mieter aus der Mittelschicht. Günstiger Wohnraum wird zunehmend zur Seltenheit.
In Zürich-Witikon zum Beispiel muss eine ganze Wohnsiedlung aus den 1960er-Jahren einer neuen Überbauung weichen: 19 Häuser mit über 100 Wohnungen mit günstigem Mietzins gehen dabei verloren.
Ausziehen nach 30 Jahren
Ausziehen muss hier auch das Ehepaar Müller-Hiestand. Die Kündigung haben die Rentner bereits erhalten. Sie haben 15 Monate Zeit für die Suche einer neuen Wohnung. Seit über 30 Jahren leben sie in einer 4-Zimmerwohnung. Eine Wohnung voller Erinnerungen. Hier zogen sie zwei Söhne gross. Sie haben ein grosses Beziehungsnetz und einen Schrebergarten in der Nähe.
In Witikon zu bleiben, wird schwierig. Ihr Budget ist begrenzt. «Leider haben wir keine Pensionskasse. Das war bei unserer Generation noch nicht so üblich wie heute. Dies schränkt ein bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum», sagt der pensionierte Architekt Bruno Müller-Hiestand.
Hinter dem Neubau-Projekt in Witikon steht die ehemalige St. Galler-Ständerätin Erika Forster. Sie ist Verwaltungsratspräsidentin der Immobilienfirma Ersian AG. «Wir stellten uns natürlich auch die Frage, ob es einen Neubau braucht», sagt sie gegenüber der «Rundschau». «Unsere Experten sind zum Schluss gekommen, dass eine Sanierung vor allem wegen der Wärmedämmung nicht das gewünschte Resultat bringt.»
Pflegefachfrau Tatiana kommt trotz intensiver Suche nicht weiter. Sie fragt sich, woran es liegt: «Ich glaube nicht, dass ich zu hohe Ansprüche habe. Ich bin flexibel, aber beim Budget habe ich leider keinen Spielraum mehr.» Nachdem sie in ein Hotelzimmer ausweichen musste, hat sie nun eine provisorische Unterbringung in der Wohnung einer Kollegin gefunden. Doch auch diese Lösung ist zeitlich begrenzt.