Schwere Sexualstrafen sind Offizialdelikte – die Staatsanwaltschaft muss zwingend Ermittlungen aufnehmen, sobald sie konkrete Hinweise auf eine solche Tat bekommt. Doch sie kann das nur machen, wenn die Fälle nicht verjährt sind.
Zwar verjährt schwerer sexueller Missbrauch an Kindern unter zwölf Jahren nicht mehr – das gilt aber nur für Fälle, die im Jahr 2008 noch nicht verjährt waren. Damals wurde die sogenannte Unverjährbarkeitsinitiative angenommen.
Von den 1002 in der Studie zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche identifizierten Fällen passierten nur 67 in der Zeit zwischen 2010 und 2023. Die meisten ereigneten sich zwischen 1950 und 1970. Folglich sind sie verjährt.
Verschiedene Staatsanwaltschaften werden aktiv
Trotzdem wird der Staat jetzt nach der Publikation der Studie aktiv. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen prüft den Bericht derzeit auf mögliche Offizialdelikte, wie sie auf Anfrage von Radio SRF mitteilt. Dasselbe tun die Staatsanwaltschaften der Kantone Wallis und Graubünden.
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Es sei allerdings nicht ganz einfach, die anonymisierten Täter zu identifizieren, heisst es bei der Staatsanwaltschaft Graubünden. Sie hofft deshalb, dass der Bericht die Opfer dazu bringt, eine Strafanzeige zu erstatten. Dies würde die Arbeit erheblich erleichtern.
Viele Opfer machen keine Anzeige
Laut der Meldestelle für sexuelle Übergriffe der Schweizerischen Bischofskonferenz kommt es allerdings vor, dass Opfer nicht wollen, dass strafrechtliche Schritte eingeleitet werden.
Ein Strafverfahren kann sehr belastend und re-traumatisierend sein.
Das kann die Opferhilfeberaterin Agota Lavoyer gut verstehen: «Ein Strafverfahren kann sehr belastend und re-traumatisierend sein.»
Gerade bei sexueller Ausbeutung von Kindern handle es sich oft um Wiederholungstaten, betont sie. Zum Schutz potenzieller weiterer Opfer wäre eine Strafanzeige deshalb wichtig.
Der Staat muss für Strafe sorgen
Auch Adrian Loretan, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern, findet es wichtig, dass der Staat tätig wird. Es reiche nicht, dass die Kirche die Fälle selber untersuche. «Nur das staatliche Recht kann ein Unrechtsbewusstsein hervorbringen», ist er überzeugt.
Die Opfer könnten im kirchlichen Recht nicht geschützt werden, denn im kirchlichen Recht werde nur untersucht, ob eine Vergewaltigung eine Verletzung des Zölibatsgesetz sei. Und das sei zwar eine Sünde, die aber in der Beichte vergeben werden könne.
So wurden denn auch manche Priester nach Bekanntwerden eines Missbrauchs einfach an einen anderen Ort versetzt.
Manche Bischöfe räumen Fehler ein
Die Publikation der Studie hat nun in St. Gallen zu einem Umdenken in der Kirche geführt. Der Bischof hat eine Strafanzeige gegen einen Priester eingereicht, dem schon vor einigen Jahren Übergriffe vorgeworfen wurden.
Zwar hat ein kircheninternes Fachgremium den Fall damals untersucht, die Vorwürfe jedoch entkräftet. Der Bischof räumte nun an einer Pressekonferenz ein, dass dies ein Fehler gewesen sei und man damals besser die Polizei eingeschaltet hätte.