Aktuell schätzt der Bund, dass die Schweiz im Jahr 2050 rund 12 Millionen Tonnen CO₂ der Atmosphäre entziehen und definitiv wird lagern müssen, um das sogenannte Netto-Null-Ziel erreichen zu können; um also unter dem Strich keine Emissionen mehr auszustossen.
Aktuell stösst die Schweiz dreieinhalbmal so viel aus, nämlich rund 45 Millionen Tonnen pro Jahr. In verschiedenen Bereichen kann der Ausstoss auf null reduziert werden – im Verkehr beispielsweise können Elektromotoren Benziner und Diesler ersetzen, beim Heizen Wärmepumpen Gasheizungen.
Schwieriger wird das in der Landwirtschaft und beispielsweise bei der Betonproduktion. Die dort ausgestossenen Treibhausgase müssen andernorts oder gleich dort, wo sie entstehen, wieder abgeschieden werden – durch negative Emissionen.
Negative Emissionen – natürlich und technisch
Auch die Natur baut ständig CO₂ aus der Atmosphäre ab. Die Aufforstung von Wäldern oder der Erhalt von Moorlandschaften schaffen natürliche negative Emissionen. Deren Potenzial ist in der Schweiz aber beschränkt und neue Forschungsresultate zeigen, dass die CO₂-Aufnahmefähigkeit der Natur mit steigenden Temperaturen abnimmt. Seit ein paar Jahren wird deshalb intensiv an technischen Möglichkeiten geforscht.
Die Schweizer Firma Climeworks beispielsweise saugt CO₂ aus der Umgebungsluft ab und lagert es im Boden. Im Forschungsprojekt DemoUpCarma wird getestet, wie das CO₂ dort, wo es entsteht, abgeschieden und anschliessend transportiert und definitiv gebunden werden kann. Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich, leitet dieses Projekt und stellt fest: «12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen sind möglich bis 2050, aber es ist eine grosse Herausforderung».
Technische Probleme sind lösbar
Technisch funktioniere der Prozess. Das habe DemoUpCarma gezeigt, betont Mazzotti. So wird in der Abwasserreinigungsanlage ARA Bern von der jungen Firma Neustark CO₂ abgeschieden. Gemäss Neustark-Mitgründer Johannes Tiefenthaler geschieht dies über einen Aufsatz auf dem Kamin der Biogasanlage vor Ort. «Dort fangen wir das CO₂ ab, das ansonsten in die Luft ginge, und führen es unserer Verflüssigungsanlage zu.»
Verflüssigtes CO₂ braucht 15 Mal weniger Platz als gasförmiges und ist deshalb besser transportierbar. Die eigentliche Verflüssigungsanlage befindet sich in einem Container, wenige Meter von der Biogasanlage entfernt auf dem Gelände der ARA. Hier wird das CO₂ heruntergekühlt, gewaschen und in Tanks auf Lastwagenanhängern gepumpt.
12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen sind möglich bis 2050, aber es ist eine grosse Herausforderung
Von hier geht das CO₂ im Rahmen von DemoUpCarma zwei unterschiedliche Wege: entweder es reist per Bahn und Schiff nach Island, wo es mit Wasser gemischt und in den Boden gepumpt und versteinert wird. Oder der LKW bringt das CO₂ zu einem Betonwerk in der näheren Umgebung. Dort wird es gemahlenem Abbruchbeton zugeführt.
Treibhausgas wird zu Stein
Johannes Tiefenthaler von Neustark erklärt: «CO₂ geht mit den Zementfasern im Abbruchbeton eine chemische Reaktion ein und wird zu Kalkstein und so permanent gebunden.» Dieser Recyclingbeton weist unter dem Strich einen um 10 Prozent geringeren CO₂-Fussabdruck auf als vergleichbarer Beton.
Die Produktion solchen Betons sei durchaus ein Geschäft, erläutert Johannes Tiefenthaler: «Es gibt Kunden, die bereit sind, für diese CO₂-Speicherleistung zu bezahlen.» Sprich: Bauherren, die bewusst weniger klimaschädlichen Beton verwenden möchten, oder andere Unternehmen, die über die Finanzierung der CO₂-Abscheidung ihre eigene Klimabilanz aufbessern.
Zukunftsmodell oder Wunschtraum?
Neustark ist derzeit daran, in der Schweiz und im nahen Ausland eine Infrastruktur zur Abscheidung von CO₂ und anschliessend Lagerung im Recycling-Beton aufzubauen. Bis 2050 will das Unternehmen so rund eine halbe Million Tonnen CO₂ binden.
Schweiz exportiert CO₂-Abfall
Um das Ziel von 12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen zu erreichen, muss eine deutlich grössere Menge CO₂ im Untergrund gelagert werden. Das Potenzial dafür in den Schweizer Böden ist vorläufigen Schätzungen zufolge gering. Neben Island, wo die Tests von DemoUpCarma laufen, kommen auch Norwegen und die Niederlande aus Schweizer Sicht infrage. Ob diese Länder bereit sein werden, CO₂ aus der Schweiz in grossem Stil aufzunehmen, ist derzeit aber völlig offen. Gut möglich, dass gerade EU-Staaten zuerst ihre eigenen Negativ-Emissionen skalieren und die Schweiz aussen vor bleibt.
Auf jeden Fall könnten grössere Mengen CO₂ dereinst nicht mehr mit Lastwagen durch Europa transportiert werden, betont Marco Mazzotti von der ETH. Ein grenzüberschreitendes Netz von Pipelines werde wohl gebaut werden müssen. Und: «Abscheidung, Transport und Lagerung von CO₂ müssen im gleichen Tempo skaliert werden. Das ist die grösste Herausforderung», betont der Professor für Verfahrenstechnik.
Der Preis wird entscheiden
Sophie Wenger, die zuständige Projektleiterin beim Bundesamt für Umwelt BAFU sieht das ähnlich. Derzeit würden alle Akteure noch abwarten: «Emittenten wollen erst CO₂ abscheiden, wenn die Transportinfrastruktur da ist. Die Transport- und Speicherstruktur wird aber erst entwickelt, wenn es Kunden gibt, die abscheiden und ihr CO₂ verkaufen wollen.»
Wie soll Schwung in die Sache kommen? Die Schweiz leiste Anschubfinanzierung, betont Wenger. Einerseits über Projekte wie DemoUpCarma; aber auch die Stiftung Klimarappen stelle 50 Millionen Franken für Negativ-Emissionen zur Verfügung.
Aktuell rechnen die Verantwortlichen damit, dass für Abscheidung, Transport und Lagerung von CO₂ Kosten von rund 300 Franken pro Tonne anfallen. Das ist deutlich mehr als ein Unternehmen im europäisch-schweizerischen Emissionshandel für den Ausstoss einer Tonne CO₂ bezahlt. Dort liegt der Preis noch deutlich unter 100 Franken pro Tonne. Die Zahl der CO₂-Ausstossrechte wird in den kommenden Jahren jedoch sinken, die Preise voraussichtlich steigen. Klar ist: Günstig sollten Negativ-Emissionen nicht werden. Denn sie sollten nur dort zum Zug kommen, wo eine Reduktion des CO₂-Ausstosses auf Null nicht möglich ist.