Noch vor fünf Monaten hätte sich Chirurg Raouf Salti nicht vorstellen können, dass die Kinder Kenan und Hudeifa jemals wieder Fussball spielen würden. Salti ist Direktor der Stiftung «Children's Right to Healthcare». Damals war er überzeugt, dass die Kinder und ihre Eltern dann wieder abgereist sein würden, weil ihr medizinisches Visum abgelaufen sei. «Ich dachte, ein dreimonatiges Visum reicht. Ich dachte, der Krieg sei dann beendet, Gaza würde damit beginnen, die Häuser wieder aufzubauen, weil die Familien wieder zurückkehrten. Es ist schrecklich.»
Saltis Engagement für die Kinder aus Gaza hat mit seiner eigenen Geschichte zu tun. Seine Eltern waren Palästinenser, auch sie geflüchtet. Salti hat früh den Vater verloren. Nichts hätte er sich mehr gewünscht als Hilfe.
«Meine Verantwortung»
Weil sie nicht nach Gaza zurückkehren kann, hat die Mutter von Kenan ein Asylgesuch gestellt. Nun kann sie die Situation etwas gelassener nehmen. Salti ist auch froh darüber. Er sagt: «Es liegt in meiner Verantwortung, dass sie hier sind. Ich kann sie nicht einfach sich selbst überlassen.» Diese Verantwortung könnte ihn teuer zu stehen kommen. Die Einwanderungsbehörde hat ihm geschrieben, dass er einen Teil der Asylgebühren übernehmen müsse, weil er diese Menschen ins Land geholt habe.
Der kleine Kenan ist zwei Jahre alt. Er ist praktisch wieder gesund. Viermal musste er an der Niere operiert werden. «Die Operationen haben ihn gerettet. Wäre er in Gaza geblieben, hätte er nicht operiert werden können», sagt der Arzt.
Für Youssef, einen anderen jungen Patienten von Salti, war der Weg komplizierter. Er hat in Kairo eine Prothese für sein verlorenes Bein erhalten. Doch dann verschlechterte sich sein Zustand und er kam notfallmässig Anfang Mai ins Universitätsspital Genf. Salti sagt: «Er wäre fast gestorben. Er hat mich noch gehört, aber nicht mehr gesehen. Youssef hatte sehr kritische Phasen und er hat einen langen Weg zurückgelegt.»
Seine Mutter Ikram zeigt ein Video, wie er im Spital lacht und strahlt. Es sind kleine Momente der Freude, die aus einem langen und teuren Spitalaufenthalt herausstechen. Die Kosten belaufen sich auf um die 400'000 Franken für 82 Tage. Davon hat die Hälfte die Hilfsorganisation des Arztes übernommen.
Andere sind bereits abgereist
Youssef wird bald 17. Er hat sich schon immer für Bälle begeistert, für Basketball und vor allem für Fussball. Seine Mutter Ikram verbringt die Tage am Bett ihres Sohnes. Wenn sie einen Moment von seiner Seite weicht, dann nur um dem Redaktionsteam zu sagen, wie erleichtert sie ist. Auch sie dachte, dass sie ihren Sohn verlieren würde. «Sein Zustand hat sich verbessert. Es war ein langer Weg. Ich habe ihn in der kritischen Phase nicht mehr besuchen können. Doch jetzt schlafe ich wieder an seiner Seite.» Die Pflegerinnen seien zufrieden mit seinen gesundheitlichen Fortschritten.
Auch Ikram möchte hier einen Asylantrag stellen. «Ich hoffe, dass wir in der Schweiz bleiben können, damit Youssef hier die Schule beenden kann. Er würde gerne Informatik studieren.»
Andere Familien haben es nicht gewagt, so lange zu warten. Sie sind verschwunden, noch bevor ihr Visum abgelaufen ist und sie zurückgeschickt worden wären. Bereits vor ein paar Wochen haben einige die Schweiz verlassen, ohne dem Arzt Bescheid zu sagen.