Derzeit ist viel die Rede von künstlicher Intelligenz (KI). Medien überschlagen sich in der Berichterstattung – oft mit allerlei düsteren Szenarien für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
«Angesichts des Potenzials und der Risiken kommt sicherlich einiges auf die Schweiz zu», sagt Mathis Brauchbar. Er ist Kommunikations- und Strategieexperte und leitet im Auftrag des Schweizerischen Nationalfonds SNF den Wissenstransfer aus dem Nationalen Forschungsprogramm «Digitale Transformation».
«Die Schweiz ist nicht blind unterwegs», sagt Brauchbar, auf die Frage, ob die Institutionen im Land bereit für den breiten Einsatz von KI seien. Kein Blindflug also, aber wir seien wohl nicht die Schnellsten.
Die Forschung schläft nicht
Auch wenn wir eher davon hören, wie eine intelligente Maschine Masterarbeiten schreibt, arbeitet die Forschung in der Schweiz auch intensiv an den sozialen Fragen des Themas. Das durch den Bundesrat an den Schweizerischen Nationalfonds vergebene Forschungsprogramm «Digitale Transformation» enthält 46 verschiedene Schweizer Forschungsprojekte. Sie alle befassen sich mit den Verhältnissen zwischen künstlicher Intelligenz und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
2017 begann die Ausschreibung für das 30-Millionen-Programm, 2020 startete der Forschungszyklus, der 2025 abgeschlossen sein wird. Bis 2026 wird der abschliessende Synthesebericht samt Empfehlungen beim Bundesrat auf dem Tisch liegen. Bereits Mitte 2022 haben die Forschenden einen Zwischenbericht vorgelegt.
Von den insgesamt 46 Forschungsprojekten rund um das Thema der digitalen Transformation sind knapp zehn explizit den Fragen der KI und ihren gesellschaftlichen Implikationen gewidmet.
«KI spielt auf den Ebenen der Arbeitswelt, der Bildung und der Demokratie eine wichtige Rolle», sagt Brauchbar. Bereits jetzt kommunizierbare Resultate lokalisiert er in der Studie von Eftychia Vayena von der ETH Zürich. In ihrem Projekt erstellen Forschende einen politischen Aktionsplan, um sicherzustellen, dass in der Schweiz alle vom Fortschritt der KI im medizinischen Bereich profitieren. Vayena hat kürzlich auch einen viel beachteten Artikel zur Regulierung von KI verfasst.
Natürlich hat die KI auch in die soziale KI-Forschung selbst Eingang gefunden. «Es sind Deep-Learning-Programme», erklärt Brauchbar, «die zum Beispiel in der Erforschung von Dynamiken am Arbeitsmarkt eingesetzt werden.»
ChatGPT ist ein Trottinett, niemand weiss, wie der TGV aussieht.
Dass Handlungsbedarf besteht, ist für Brauchbar und die Forschenden des Programms klar. Allein schon, weil sich die Technik schnell entwickelt. Es sei ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag nötig, um eine neue «Governance» zu entwickeln, einen neuen Prozess der Festlegung und Durchsetzung interner Richtlinien und Verfahren. Das Problem sei zum Teil, dass wir noch gar nicht wüssten, was auf uns zukommt. «Sind wir ehrlich, ChatGPT ist das Trottinett», sagt Brauchbar, «aber noch weiss niemand, wie der TGV aussehen wird.»
In der Schweiz sind wir zudem behäbiger unterwegs als andere, weiss Brauchbar. «Es gibt keine klare Zielsetzung, da sind wir nicht so gut unterwegs wie die EU.» Sie sei strategischer ausgerichtet, lege fest, wohin man wolle und leite dann Umsetzungsprogramme ab. «Das liegt vielleicht an einem etwas anderen Staatsverständnis hier», sagt Brauchbar, «es wird hier viel mehr debattiert.»
Ob wir uns für die ethische, wirtschaftliche und politische Adaption dieser Technik derzeit zu viel Zeit nehmen, auch das wird sich demnach erst in der Zukunft erweisen.