Geschlossene Grenzen, «Lockdown» und Contact Tracing: Was haben diese Corona-Massnahmen zu Beginn der Pandemie in der Schweiz gebracht? In einer in der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine» veröffentlichten Studie liefern Forschende der ETH Zürich unter der Leitung von Tanja Stadler nun Antworten auf diese Fragen. Eine Einschätzung von SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel.
SRF News: Was zeigt die Studie konkret?
Katrin Zöfel: Diese Studie kommt zum Schluss, dass die frühen Corona-Massnahmen in der Schweiz messbar Wirkung zeigten. Und sie legt dazu Zahlen vor. Das ist neu.
Können Sie das auch auf die einzelnen Massnahmen herunterbrechen?
Die am 16. März 2020 beschlossenen Grenzschliessung, also in den allerersten Wochen der Pandemie, habe die Zahl eingeschleppter Infektionen um 90 Prozent gesenkt. Das scheint also zu zeigen, dass eine solche Massnahme wohl doch sinnvoll war, um die Dynamik zumindest für einen gewissen Zeitraum auszubremsen. Besonders auch darum, weil in dieser Zeit im Ausland, vor allem im Elsass und in Norditalien, die Infektionszahlen schon sehr viel höher waren als in der Schweiz.
Die neuen Zahlen der Studie deuten nun darauf hin, dass zumindest ganz zu Beginn Grenzschliessungen sinnvoll waren.
Zur gleichen Zeit wurde auch teilweise ein «Lockdown» beschlossen. Was sagt die Studie zu dieser Massnahme?
Der «Lockdown» hat die Infektionsketten, die durch eingeschleppte Infektionen gestartet wurden, laut der Studie doppelt so schnell abbrechen lassen, verglichen mit der Zeit nach dem «Lockdown». Und schliesslich habe auch das Contact Tracing gewirkt. Das ist die sehr aufwändige Massnahme, wo unzählige Helfer über Kontakte von Infizierten informiert und zur Quarantäne aufgefordert haben.
Wirklich effektiv war diese Massnahme aber nur im Sommer 2020, wo die Infektionsdynamik vergleichsweise schwach war. Der Studie gemäss hat das Contact Tracing in dieser Zeit die Zahl der Ansteckungen, die von einer infizierten Person ausgingen, halbiert. Im Herbst 2020, als die Infektionsdynamik dann stark anzog, habe das Contact Tracing in der Stärke, wie es in der Schweiz gemacht wurde, seine Wirkung aber praktisch verloren. Es ist quasi überrannt worden.
Es war eine sehr grosse Studie. Wie sind die Forscherinnen und Forscher zu ihren Ergebnissen gekommen?
Die Forschenden um die Epidemiologin Tanja Stadler können diese Zahlen so vorlegen, weil sie früh in der Pandemie sehr viele Virenproben sequenziert haben, insgesamt mehr als 11'000 im Jahr 2020. So eine Sequenzierung liefert eine Art genetischen Fingerabdruck für jede einzelne Infektion. Dank dieser Daten konnten die Forschenden nachverfolgen, welche Infektionsketten wo wie viele Fälle ausgelöst haben.
Ein Ergebnis der Studie ist, dass nach den Grenzschliessungen rund 90 Prozent weniger Infektionen in die Schweiz importiert wurden. Überrascht Sie diese Zahl?
Ja, das überrascht. Viele Experten und auch die Weltgesundheitsorganisation waren der Meinung, dass Grenzschliessungen wenig bewirken und es mehr auf die Massnahmen im Land selbst ankommt. Die neuen Zahlen der Studie deuten nun darauf hin, dass zumindest ganz zu Beginn die Grenzschliessungen sinnvoll waren, um die Dynamik im Inland von der in anderen Ländern abzukoppeln.
Das Gespräch führte Zoe Geissler.