«Die Heimat verliert man nie», sagt Marco Sieber mit Blick auf seinen künftigen Arbeitsort. Es falle ihm zwar schwer, aus dem Kanton Bern, aus seiner Heimat wegzuziehen – aber wer hat schon die Chance, sich von der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa zum Astronauten ausbilden zu lassen?
Bald geht der 33-jährige Berner 400 Kilometer in den Norden, nach Köln zur Ausbildung und danach kommen in der Vertikale nochmals 400 Kilometer dazu – wenn er eines Tages in der Internationalen Raumstation ISS über der Erde schwebt.
Armstrong und Nicollier als Vorbilder
Schon als Kind sei er von der Raumfahrt fasziniert gewesen, sagt Sieber im Interview mit SRF News. Mit seinem Bruder habe er Astronaut gespielt: «Wir haben Stühle aufeinander gestapelt, haben uns drauf gesetzt und hatten das Gefühl, wir sitzen in einer Rakete.»
Die Bilder der ersten Mondmission von 1969 aus Büchern und Filmen prägten ihn. Die Weltraumpioniere und auch der Schweizer Astronaut Claude Nicollier waren grosse Vorbilder. «Zu ihnen habe ich hochgeschaut und geträumt, dasselbe wie sie zu tun.»
Ziel stets im Hinterkopf
In einem Praktikum während seines Medizinstudiums hat Sieber das erste Mal von der Astronautenauswahl im Jahr 2008 gehört. Er fand heraus, dass die Esa diese Selektion regelmässig durchführt. «Ich habe das dann im Auge behalten und gewartet, bis es wieder diese Möglichkeit gibt.»
Sieber musste sich einige Jahre gedulden, denn erst 2021 eröffnete die Esa ein neues Auswahlverfahren. Ganz direkt auf das Auswahlverfahren hingearbeitet habe er nicht, sagt Sieber, aber verschiedene Dinge habe er schon mit diesem Ziel im Hinterkopf gemacht. So hat er die Lizenz zum Privatpilot gemacht. «Natürlich aus Freude an der Sache, aber auch ein bisschen im Hinblick, dass es ein Vorteil bei der Bewerbung sein kann», erklärt Sieber.
Über 22'000 Menschen haben sich bei der Esa beworben. In sechs Stufen prüfte die Raumfahrtbehörde die Bewerberinnen und Bewerber. Die erste Testrunde empfand Sieber als sehr stressig. Zuerst wurde mit computerbasierten Tests die Reaktionsfähigkeit und das mathematische sowie logische Denkvermögen auf die Probe gestellt, wie er berichtet. «Wirklich vorbereiten konnte man sich nicht.»
Nach jeder Stufe dachte ich: ‹Das war wohl jetzt die Letzte›
Später folgten Interviews zur psychologischen Verfassung und ausführliche medizinische Untersuchungen. «Nach jeder Stufe dachte ich: ‹Das war wohl jetzt die Letzte›.» Doch Sieber kam im Verfahren immer weiter.
Wichtig in dieser Zeit war für ihn der Austausch mit Freunden und den anderen Kandidierenden. «Es war sehr kollegial, es gab kein Konkurrenzdenken», sagt er.
Am Schluss des Auswahlverfahrens interviewte ihn der Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher. Aschbacher sagt über Sieber: «Er war sehr professionell, sehr fokussiert. Wir haben gespürt, dass er alle Qualitäten hat, sowohl die persönlichen als auch die eines Astronauten.»
Die 17-köpfige Klasse beginnt nun im Frühling 2023 die Ausbildung am Europäischen Astronautenzentrum in Köln. Er ist sich bewusst, dass er wohl weniger Kontakt mit «seinen Leuten» in der Heimat haben werde.
Aber es überwiege die Freude auf die neue Ausbildung. «Man lernt die Weltraumforschung kennen, die Systeme der ISS und von den verschiedenen Raketen. Das ist alles wahnsinnig spannend», sagt Sieber.