Zunächst mussten wir wieder steigende Neuinfektionen beobachten, nun ist eine Stabilisierung erkennbar. Eine hohe Impfquote und das Covidzertifikat können die Pandemie eindämmen. Wie die Situation in den kälteren Monaten aussehen wird, sei nicht vorhersehbar, so der Experte Richard Neher.
SRF News: Bei den Neuansteckungen mit dem Coronavirus zeichnet sich eine Stabilisierung ab. Ist nun ein gewisses Plateau erreicht?
Richard Neher: Ob das jetzt ein Plateau ist oder nicht, ist schwer vorherzusagen. Man muss ins Bewusstsein rufen, dass zum Ferienende viele Leute gereist und wieder nach Hause gekommen sind. Das hat unter Umständen zu einem gewissen Buckel in den Fallzahlen geführt, der sich jetzt abflacht. Wie das im Herbst und Winter weitergehen wird, können wir nicht sicher vorhersagen.
Was ist zu tun, damit die Fallzahlen nicht bald wieder in die Höhe schnellen?
Wir müssen uns darüber klar sein, dass das Virus mittelfristig nicht verschwinden wird. Vermutlich werden sich in zwei bis fünf Jahren auch jene, die schon genesen oder geimpft sind, mit diesem Virus infizieren. Dann wird sich irgendwann ein Gleichgewicht einschleichen, wie wir das von anderen Viren auch kennen.
Wenn wir eine niedrige Impfquote haben, müssen wir die Fallzahlen niedrig halten, um den Druck auf das Gesundheitssystem klein genug zu halten.
Die Frage ist im Wesentlichen, wie kommen wir da am elegantesten hin? Aus epidemiologischer Sicht ist klar, dass man die Impfquote so hoch wie möglich treiben muss. Dann sind die Folgen einer Infektion schon sehr gut abgefedert und man erwartet keinen grösseren Druck mehr auf das Gesundheitssystem. Aber wenn wir so eine niedrige Impfquote haben, dann müssen wir die Fallzahlen niedrig halten, um den Druck auf das Gesundheitssystem klein genug zu halten.
Kann eine Ausweitung des Covidzertifikats den gewünschten Einfluss haben auf die Pandemie?
Das Covidzertifikat ist ein probates Mittel, um der Pandemie einen Dämpfer von oben zu geben, um zu verhindern, dass die Fallzahlen plötzlich unerwartet ansteigen. Denn es ist ganz klar, dass Geimpfte oder Getestete mit deutlich kleinerer Wahrscheinlichkeit ansteckend sind.
Wie schauen Sie der Herbst- und Winterzeit entgegen?
Wir kennen das: Im Herbst gibt es die ersten Erkältungswellen und dann im Winter Grippewellen. Letztes Jahr haben wir davon kaum etwas gesehen, weil die Massnahmen gegen Covid die Zirkulation aller anderen Viren unterdrückt haben. Das ist dieses Jahr vermutlich anders. Wir werden andere Viren wieder vermehrt sehen und dann wird sich zeigen, wie sich das zusätzlich mit Coronaviren einspielt. Mittelfristig werden wir wahrscheinlich auch andere Coronavirusvarianten sehen, die in den kommenden Wintern wieder zirkulieren.
Inwiefern besteht ein Risiko, dass eine neue Variante die aktuelle Lage wieder ganz über den Haufen wirft?
Das Risiko ist nicht besonders gross. Wir haben zweimal einen deutlichen Sprung in der Übertragbarkeit des Virus gesehen und in puncto Übertragbarkeit ist irgendwann vermutlich das Ende der Fahnenstange erreicht. Was wir in der Zukunft vermutlich sehen werden, sind Varianten, die immer wieder kleine Teile der Oberfläche des Virus verändern und so vom Immunsystem weniger gut erkannt werden.
Ich gehe nicht davon aus, dass wir noch einmal so eine dramatische Änderung der Viruseigenschaften in puncto Transmission und Übertragung sehen werden.
Sie breiten sich dann in einem weiteren Winter in der Population aus. Aber ich gehe nicht davon aus, dass wir noch einmal so eine dramatische Änderung der Viruseigenschaften in puncto Transmission und Übertragung sehen werden.
Das Gespräch führte Nina Gygax.