Wissenschaft und Behörden in der Schweiz haben in der Coronakrise nicht besonders gut zusammengearbeitet: Dieses Fazit zieht das Nationale Forschungsprogramm «Covid-19» (NFP 78). Die Partnerschaft zwischen Wissenschaft und den staatlichen Einrichtungen sei nicht ausreichend entwickelt gewesen, um dem enormen Druck einer Pandemie standzuhalten, heisst es im Schlussbericht der Forscherinnen und Forscher. Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel mit Details, woran es gehapert hat – und der Frage, ob wir für die nächste Krise besser gerüstet sind.
Warum lief die Zusammenarbeit nicht optimal?
Kurz zusammengefasst: zu wenig Flexibilität, zu wenig Vertrautheit miteinander, zu wenig vorgedachte Strukturen für den Austausch. Das ist ein erstaunliches Verdikt, wenn man sich überlegt, dass die Schweiz ein Top-Forschungsstandort ist, und der Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft etwa gut etabliert ist. Zudem wurde das Epidemiengesetz erst 2012 neu aufgelegt – trotzdem wurden modernere Strukturen nicht mitgedacht.
Welche Konsequenzen hatte die mangelhafte Kooperation?
Sie wirkte sich beispielsweise beim Contact Tracing aus. Für Infektionsforscher war direkt zu Beginn der Pandemie klar, dass die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ein gutes Werkzeug ist, um Ansteckungen zu verhindern und um zu ermitteln, wo sich die Leute anstecken. Hierzulande kannte man Contact Tracing aber ausserhalb der Fachkreise kaum. Bis die Kontaktverfolgung in der Schweiz richtig angepackt wurde, war es arg spät, nämlich kurz vor Beginn der zweiten Welle. Vieles war auch selbst noch nicht gut genug durchdacht.
Es sind Monate verstrichen, bis von Behördenseite wirklich etwas passierte. Das gilt für das Contact Tracing mit Stift und Papier, aber auch für die App. Der Input aus der Wissenschaft drang zu langsam durch. Das hatte Konsequenzen für die Zahl der Infektionen, aber auch für die Debatten: Mehr Wissen über Ansteckungsorte hätte geholfen, weniger kopflos und dafür faktenbasierter zu diskutieren.
Üben die Forschenden auch Selbstkritik?
Es gibt durchaus einen kritischen Blick darauf, wie das Nationale Forschungsprogramm selbst aufgegleist war. Es wurde schnell beschlossen vom Bund, schnell angeschoben und es wurde schnell losgearbeitet. Aber das Programm war nicht flexibel. Themen wie Long Covid oder Impfnebenwirkungen waren am Anfang noch nicht auf dem Zettel. Sie tauchen also auch nicht im Forschungskatalog auf – sie wurden dann aber wichtig.
Darauf konnte man im Rahmen des Programms nicht wirklich reagieren. Das führte zu Wissenslücken, die bis heute spürbar sind: Wie häufig ist Long Covid tatsächlich, wer bekommt es und wer nicht? Wie gravierend ist Long Covid und wie lange dauert es für die Betroffenen? Wie häufig oder selten sind bestimmte Impfnebenwirkungen? Das sind Fragen, bei denen man bis heute schwimmt – und das müsste nicht so sein.
Sind wir für die nächste Krise besser gerüstet?
Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten. Von Seiten der Behörden ist nun das Eingeständnis da, dass einiges nicht ideal lief. BAG-Vizechefin Linda Nartey sprach heute von Lücken, die man nun erkannt habe. Klar ist auch, dass der Austausch weder gesetzlich noch organisatorisch ausreichend vorgespurt war. Von Seiten der Wissenschaft kommt nun der Wunsch, die Zusammenarbeit mit den Behörden zu institutionalisieren. Denn dies habe in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft viel gebracht – und so hänge die Zusammenarbeit nicht mehr an einzelnen Personen.