Markus Greiner engagiert sich seit 16 Jahren in der Kirchenpflege in Aarau – mittlerweile als Präsident der Kreiskirchgemeinde. Nach dem Bericht über die sexuellen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche habe er sich zunächst wie erschlagen gefühlt: «Langsam steigt in mir auch Wut darüber auf, wie lange die Kirche braucht, sich dieser schwierigen, schlimmen Problematik zu stellen.» Es sei auch eine Wut auf die römisch-katholische Kirche selber vorhanden, so Greiner.
Ich kann jeden verstehen, der sagt: ‹Ich trage das nicht mehr mit›.
Wie ihm gehe es vielen Katholikinnen und Katholiken, mit denen er dieser Tage gesprochen habe, sagt Greiner. Und einige wollten noch einen Schritt weitergehen: «Sie können diese Missbrauchsfälle und den Umgang der offiziellen Kirche nicht mehr mittragen und sie überlegen, ob sie austreten.» Er erwarte nun eine eigentliche Welle – und: «Ich kann jeden verstehen, der sagt: ‹Ich trage das nicht mehr mit›.»
Er will sich aber auch weiterhin für die Kirche engagieren und weist darauf hin, dass die Kirche auch Gutes tue, zum Beispiel für Flüchtlinge und arme Menschen.
Neue Strukturen und Abschaffung des Pflichtzölibats
Aber: Die hierarchische Machtstruktur in der katholischen Kirche, die Intransparenz und die Schlechterstellung der Frauen müsse geändert werden. Das sieht auch Hans Hollenstein so, der Präsident der katholischen Kirchenpflege in Winterthur. Er begrüsse zwar, dass der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain jetzt den Missbrauchsskandal untersuche – es brauche aber möglichst bald neue Strukturen.
Ein Problem sieht Hollenstein bei den Bischöfen. Diese hätten Exekutiv- und richterliche Funktion gleichzeitig: «Es braucht eine unabhängige Untersuchungsbehörde und ein unabhängiges Gericht auf Stufe Bistum.» Den Bischöfen sei es selbst in ihrer Doppelrolle nicht mehr wohl.
Sexualität gehört zum menschlichen Leben – und wenn man das ein Leben lang unterdrücken soll, beispielsweise als Priester, ist das eine unmögliche Aufgabe für junge Männer.
Hans Hollenstein der früher auch Zürcher Regierungsrat für die CVP, die heutige Mitte-Partei war, spricht auch grundlegende Themen an. Für ihn ist nämlich klar: Das Pflichtzölibat müsse abgeschafft werden und die Kirche brauche dringend eine offenere Sexualmoral: «Sexualität gehört zum menschlichen Leben – und wenn man das ein Leben lang unterdrücken soll, beispielsweise als Priester, ist das eine unmögliche Aufgabe für junge Männer.»
Auch Frauen sollen als Pfarrerinnen arbeiten dürfen
Und nicht nur das Zölibat stellt Hollenstein infrage. Er fordert gleichzeitig auch vehement, dass Frauen als Pfarrerinnen arbeiten können. Da könne man von der reformierten Kirche lernen, wo viele Pfarrerinnen eine sehr gute und wichtige Arbeit leisteten.
Diese fast toxische Kombination dieser hierarchischen Machtstrukturen und nur Männern in Machtpositionen – das kann gefährlich sein.
Hier stimmt auch Markus Greiner zu. Die jetzige Situation in der römisch-katholischen Kirche sei unhaltbar. «Diese fast toxische Kombination dieser hierarchischen Machtstrukturen und nur Männern in Machtpositionen – das kann gefährlich sein», ist er überzeugt. Das könne Übergriffe geradezu begünstigen.
Die Forderungen der katholischen Basis sind klar und unmissverständlich. Die Gretchenfrage ist, ob und wie schnell die geistliche Kirchenführung darauf reagieren wird. Sicher scheint: Ohne tiefgreifende Reformen kann die katholische Kirche ihre Glaubwürdigkeit wohl nicht mehr wiederherstellen.