In der Schweiz erhalten abgewiesene Asylsuchende nur noch Nothilfe. Sie sollen nicht verhungern, aber einen Anreiz haben, die Schweiz zu verlassen. Manche haben Kinder. Rund 700 Kinder und Jugendliche leben aktuell von Nothilfe, viele seit mehreren Jahren.
Nun hat die Eidgenössische Migrationskommission (EKM) untersuchen lassen, unter welchen Bedingungen diese Kinder leben. Die Ergebnisse seien «besorgniserregend», teilt die EKM mit. «Nothilfestrukturen sind nicht gesund», sagt ihre Geschäftsführerin Bettina Looser. Die Verhältnisse seien so prekär, dass die Entwicklung der Kinder gefährdet sei.
Lebensbedingungen sind rechtswidrig
Laut der Studie unterscheidet sich die Situation von Kanton zu Kanton stark. Manche Kinder lebten in renovierungsbedürftigen Kollektivunterkünften – zu fünft in einem Zimmer, die sanitären Anlagen seien nicht nach Geschlechtern getrennt und liessen sich nicht abschliessen. Manchmal würden Kinder auch Zeugen gewaltsamer Ausschaffungen oder von Suiziden.
Ein ebenfalls von der EKM in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten der Universität Neuenburg kommt zum Schluss, dass diese Lebensbedingungen nicht mit der schweizerischen Bundesverfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar seien.
Abschreckung versus Kinderrechte
Um die Kinderrechte zu wahren, brauche es einen Paradigmenwechsel, so die Rechtsprofessorinnen und -professoren: Statt am Abschreckungseffekt festzuhalten, müssten die Behörden das Kindeswohl ins Zentrum stellen.
Doch wird damit für Eltern nicht der – politisch gewollte – Abschreckungseffekt der Nothilfe zunichtegemacht? «Die Politik ist frei, eine Vergrämungstaktik zu wählen», sagt Looser. «Aber innerhalb der Vergrämungstaktik gelten die Kinderrechte.»
Kommission ortet Handlungsbedarf
Die EKM sieht nun Handlungsbedarf und stellt eine Reihe brisanter Forderungen. So sollen Kinder nie in Kollektivunterkünften untergebracht werden, sondern mit ihren Eltern in eigenen Wohnungen leben. Und: Abgewiesene Asylsuchende, die nach zwei Jahren immer noch in der Schweiz leben, sollen Sozialhilfe statt Nothilfe bekommen.
Gefordert ist laut EKM vor allem die Bundespolitik, die das System überdenken und Gesetze anpassen solle. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) sieht sie in der Pflicht, Standards zu entwickeln und so für eine Vereinheitlichung zu sorgen. Aber auch die Kantone müssten die vorhandenen Spielräume nutzen.