Derzeit ist die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer vollständig geimpft. Die andere Hälfte nicht. Die Frage «Impfen oder nicht?» beschäftigt die Menschen hierzulande nach wie vor stark. Auch in den Kommentarspalten der SRF-Community polarisiert das Thema weiterhin. SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis erklärt, was hinter häufigen Behauptungen rund um die Corona-Impfung steckt.
Behauptung Nummer 1: Langzeitfolgen kann man immer noch nicht erkennen. Die Impfung ist ein grosses Risiko.
Man kann versuchen, die Langzeitfolgen abzuschätzen. Aber es ist natürlich korrekt: Erst in 20 oder 50 Jahren weiss man, wie sich die Situation präsentiert. Dieses Dilemma gibt es bei vielen neuen Stoffen und Produkten, so etwa auch bei Pflanzenschutzmitteln und neuen chemischen Erzeugnissen. Dabei gibt es verschiedene Risikoabschätzungen. Bei der Covid-19-Impfung war der Beschluss letztlich, dass man gewisse, als minimal angesehene Risiken in Kauf nimmt im Vergleich zum erwarteten Nutzen. Bei Impfstoffen wird davon ausgegangen, dass nach mehreren Monaten keine unerwünschten Langzeitfolgen mehr auftauchen.
Behauptung Nummer 2: Die Impfung schwächt das Immunsystem der Geimpften nachhaltig.
Eine Impfung regt das Immunsystem dazu an, auf bestimmte Antigene (Eiweisse, Viruspartikel, Giftstoffe) Abwehrstoffe zu bilden. Das sind einerseits die Antikörper in verschiedensten Ausprägungen, aber auch weitere zelluläre Immunantworten. Das Immunsystem muss je nach Impfung kurzzeitig ziemlich schwer arbeiten, darum auch die nicht ganz unerheblichen, aber kurzfristigen Nebenwirkungen. Nachher beruhigt sich die Sache rasch wieder und das Immunsystem ist in Bereitschaft, falls das richtige Virus noch kommt – und kann schnell reagieren, in den meisten Fällen so, dass die Menschen nicht mehr krank werden. Eine Impfung ist keine Schwächung des Immunsystems, sondern eine Verstärkung beziehungsweise ein Training.
Behauptung Nummer 3: Die Impfung verändert unsere DNA und diejenige unserer Nachkommen.
Die mRNA aus den Impfungen baut sich nicht in das menschliche Erbgut ein. Die Schwierigkeit, eine funktionierende Impfung zu entwickeln, war vielmehr, dass die gespritzte mRNA zu schnell zerstört wird. Darum wurde sie künstlich ein wenig haltbarer gemacht, wir reden hier aber von Stunden im Gegensatz zu Minuten. Nachher ist die mRNA zerstört. Was es tatsächlich gibt, sind aber Viren, die einen Teil ihres Erbguts in den Wirt einschleusen können, und zwar unter Umständen so, dass es dort bleibt. Stichworte sind «Retroviren» und «endogene Retroviren». Unser Genom enthält auf diese Weise vermutlich mehrere Prozent Virusgenom. Wie es sich genau auswirkt, ist unklar.
Behauptung Nummer 4: Impf-Nebenwirkungen werden nicht erfasst oder heruntergespielt.
Die Nebenwirkungen werden sehr genau beobachtet. Meldungen hängen aber auch davon ab, ob sich Betroffene überhaupt melden möchten. Durch diese Beobachtungen wurden bereits mehrere sehr seltene unerwünschte Nebenwirkungen bekannt, wie die Herzmuskel-Entzündungen, vor allem bei jüngeren Männern nach einer mRNA-Impfung und die Thrombosen beim Astra-Zeneca-Impfstoff. In der Schweiz sammelt die Arzneimittelbehörde Swissmedic diese Meldungen.
Behauptung Nummer 5: Mit einem gesunden Immunsystem muss man sich nicht impfen.
Ein gesundes Immunsystem schützt uns vor Erkrankungen – und zwar laufend, jeden Tag, jede Minute. Die Luft ist voll mit Pilzsporen, Bakterien und Viren, auf Oberflächen lauert ähnliches. Der grösste Teil ist für uns harmlos, aber einige davon könnten uns infizieren. Und unser Immunsystem ist ständig damit beschäftigt, solche Eindringlinge abzuwehren.
Es ist aber immer eine Frage des Masses. Wird die schiere Menge der Eindringlinge zu gross, etwa wenn wir viele Erkältungsviren auf einmal einatmen, oder im Fall von SARS-CoV-2 jetzt eben Coronaviren, dann wird das Immunsystem unter Umständen überfordert. Und wir werden dann allenfalls krank. Ein gutes, starkes Immunsystem ist etwas sehr Gutes, aber keine Garantie, dass man sich nicht trotzdem mit etwas infizieren kann.
Behauptung Nummer 6: In Israel und Grossbritannien ist die Mehrheit der Hospitalisierten geimpft – das zeigt, dass die Impfung anfälliger auf die Delta-Variante macht und nicht wirkt.
Beides ist nicht der Fall. In Israel ist ein Grossteil der Menschen geimpft. Da die Impfung leider nicht zu 100 Prozent schützen kann, auch nicht vor einer Spitaleinweisung, sind jetzt auch Menschen im Spital trotz doppelter Impfung. Und weil nur noch wenige Menschen nicht geimpft sind in Israel, kommt es dazu, dass dann im Spital eine Mehrheit bereits geimpfter Menschen wegen Covid-19 behandelt werden muss.