Die Demonstration gegen die Corona-Massnahmen in Bern am vergangenen Samstag wurde gemäss Medienberichten von Vertretern von Rechtsradikalen angeführt. In Deutschland passiert das mittlerweile öfter, wie Christian Fuchs, Journalist bei der «Zeit» untersucht hat.
SRF News: In welchem Ausmass beeinflussen Rechtsextreme die Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen?
Christian Fuchs: In Deutschland nehmen an einem Wochenende mittlerweile ungefähr 200’000 Menschen an diesen Protesten gegen Corona-Massnahmen teil. Die wenigsten von denen sind rechtsextrem. Aber was die Rechtsextremen gut machen, ist, dass sie sich schnell an die Spitze einer Demonstration setzen und auch im Internet diese Proteste vernetzen, um damit quasi diese Demonstration für sich zu vereinnahmen.
In den sozialen Medien wirkt es so, als ob sie und ihre Gruppen dort das Sagen haben. Das machen sie zum Beispiel, indem sie lautstark bestimmte ideologische Sprüche wie zum Beispiel «Widerstand, Widerstand» skandieren. Das ist ein Neonazi-Code. In Bern stand das am Wochenende auf einem Plakat.
Die deutschen Rechtsextremen publizieren Karten, wo sie über tausend Veranstaltungen aufführen und so tun, als ob sie eine breite Bewegung wären. Darauf findet man mittlerweile auch alle Kundgebungen und Spaziergänger in der Schweiz.
Von welchen Gruppierungen sprechen wir?
Die eine, die in Deutschland die Proteste massiv zu kapern versucht, ist die sogenannte Identitäre Bewegung. Sie ist auch in der Schweiz aktiv. Dazu kommen kleine Neonazi-Parteien wie Der Dritte Weg in Deutschland oder Vertreter der Gruppe Junge Tat in der Schweiz. Die treten an Demonstrationen in Erscheinung.
Die Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen werden demnach teilweise von Rechtsextremen unterwandert. Zu welchem Zweck geschieht das?
Das Thema der Demonstration ist vollkommen austauschbar. In Deutschland fing es vor zehn Jahren mit Protesten gegen den Euro an. Dann kam vor fünf, sechs Jahren das Thema Migration. Jetzt sind es die Pandemie und der vielleicht kommende Impfzwang.
Der deutsche Verfassungsschutz sagt, dass Rechtsradikale eine kritische Masse erreichen wollen und einen Systemumsturz planen. Ich persönlich sehe die Gefahr im Moment noch nicht. Man muss sich vor Augen halten: 200'000 Menschen in Deutschland sind nur 0.2 Prozent der Bevölkerung. Auch in Bern muss man auch sagen: 2000 Menschen sind bei der Grösse dieser Stadt auch eine kleine überschaubare Gruppe.
Ich sehe die Gefahr, dass sich Menschen auf diesen Demonstrationen radikalisieren und gewalttätig werden: Der Mörder des Politikers Walter Lübke hat sich auf Demonstrationen der AfD – damals noch zum Thema Migration – radikalisiert.
Warum denken Sie, dass diese Gruppierungen keine Gefahr darstellen?
Weil sie es eben nicht schaffen, über ihr eigenes Milieu hinaus weitere Menschen hinter sich zu bringen. Das kann sich natürlich ändern, zum Beispiel mit Einführung von noch härteren Massnahmen. Doch die Gefahr, die ich zurzeit eher sehe, ist, dass Menschen sich auf diesen Demonstrationen radikalisieren und sehr gewalttätig werden. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon gesehen. Der Mörder des Politikers Walter Lübke hat sich auf Demonstrationen der AfD – damals noch zum Thema Migration – radikalisiert und hat dann einen Menschen ermordet.
Sie haben den deutschen Verfassungsschutz erwähnt. Was tun die deutschen Behörden?
Sie haben begonnen, in Deutschland ihre Überwachung des Dienstes Telegram auszubauen. Ganz viele der Organisation dieser Proteste, aber auch Mordaufrufe an Andersdenkende finden auf Telegram statt. Andere soziale Netzwerke sperren strafrechtlich relevante Dinge mittlerweile, wie Facebook.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.