Seit rund einem Jahr hält die Corona-Pandemie nun die Welt in Atem. Praktisch täglich stellen sich schwierige Fragen der Abwägung: zwischen Gesundheit und Wirtschaft, zwischen Eingriff des Staates und Eigenverantwortung – aber auch zwischen der Pandemiebekämpfung und Datenschutz. Die Datenschützer von Bund und Kantonen haben am Donnerstag in diesem Spannungsfeld eine erste Bilanz gezogen.
Kontaktdaten angeben im Restaurant, die Tracing-App zur Warnung vor Kontakten mit Infizierten herunterladen oder stundenlange Videokonferenzen mit Programmen, die in Sachen Sicherheit nicht immer über alle Zweifel erhaben sind.
Herausforderung für den Rechtsstaat
Der Eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger spricht von einem Spannungsfeld: «Datenschutz will nicht ein Hindernis sein, um die Bevölkerung vor der Pandemie zu schützen. Aber wir müssen trotzdem schauen, dass unser Rechtsstaat nicht Schaden nimmt.»
Datenschutz will nicht ein Hindernis sein, um die Bevölkerung vor der Pandemie zu schützen.
Dem liesse sich entgegnen: Möglicherweise liesse sich die Pandemie effizienter bekämpfen, wenn bestimmte Prinzipien des Datenschutzes über Bord geworfen würden. Gewisse asiatische Staaten handhaben dies jedenfalls so. Auf der Strecke bleiben dabei aber die Persönlichkeitsrechte der Einzelnen.
Gratwanderung im Rahmen der Verfassung
Daher könne dies für die Schweiz kein Modell sein, sagt der Präsident der Konferenz der Schweizerischen Datenschutzbeauftragten, der Berner Datenschützer Ueli Buri: «Die Schweizer Kultur ist anders. In unseren bereits verfassungsmässigen Grundlagen stehen die Grundsätze der Interessenabwägung und der Verhältnismässigkeit. Diese sollen gewährleisten, dass man nicht mit dem Vorwand der Pandemie sämtliche privaten Rechte aushebeln kann.»
Wenn es Kreise gibt, die es zu streng finden und andere, die es zu lasch finden, befindet man sich in der Regel in der guten Mitte.
Die Gratwanderung zwischen Pandemiebekämpfung und Datenschutz meistere die Schweiz bislang gut: «Wenn es Kreise gibt, die es zu streng finden und andere, die es zu lasch finden, befindet man sich in der Regel in der guten Mitte.»
Eine harmlose Aufsatz-Frage – oder doch nicht?
Dabei ist die Bevölkerung durchaus wachsam, was den Datenschutz angeht. So holten verunsicherte Lehrpersonen nach den letzten Sommerferien beim Berner Datenschützer Rat in einer Sache, die völlig harmlos scheint: Für einen Aufsatz wollten sie von den Kindern wissen, wo sie ihre Ferien verbracht hatten.
Eine 08/15-Aufgabe, die Lehrer nun plötzlich zweifeln liess. Darf man diese Frage weiterhin stellen, wenn ein Kind möglicherweise in einem Land auf der Risikoliste war und eigentlich in Quarantäne sein müsste? Die Antwort lautete laut Buri wie folgt: Ja, natürlich darf die Lehrerin die Frage noch immer stellen – für den Aufsatz, nicht aber zur behördlichen Quarantäne-Kontrolle.
Und was passiert nach der Pandemie?
Solche Fragen stellen sich nicht mehr, wenn die Pandemie vorbei ist und Reisebeschränkungen aufgehoben sind. Andere Datenschutz-Themen hingegen blieben auch nach Corona aktuell, betont Datenschützer Adrian Lobsiger.
Denn die Menschen gewöhnten sich jetzt an Gesundheits-Apps oder die Registrierung per Smartphone: «Wenn das Handy während der Pandemie zu einer Fussfessel wird, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es eine Fussfessel bleiben wird, wenn die Pandemie durch ist.» Auch deshalb sei es wichtig, den Datenschutz jetzt aufs Tapet zu bringen – für die Zeit danach.