- Der Dreikönigstag ist traditionell auch so etwas wie der politische Jahresanfang in der Schweiz.
- Parteien nutzen den 6. Januar jeweils, um den Medien ihre Standpunkte und Vorhaben fürs neue Jahr darzulegen.
- Das machten am Donnerstag die SP und die Mitte – und zwar am genau gleichen Ort, im Alpinen Museum in Bern, nacheinander.
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die beiden Parteien näher gekommen wären. Im Gegenteil. Der inhaltliche Graben zwischen der Mitte und der SP ist grösser geworden – vor allem, wenn es um die anstehende Reform der Sozialversicherungen geht.
Die AHV-Abstimmung ist aus meiner Sicht die wichtigste Abstimmung der ganzen Legislatur.
AHV-Abstimmung spaltet die Meinungen
«Die AHV-Abstimmung ist aus meiner Sicht die wichtigste Abstimmung der ganzen Legislatur», so Gerhard Pfister, Mitte-Parteipräsident. Auch Cédric Wermuth, Co-Parteipräsident der SP, erachtet diese Abstimmung als wegweisend. Hier endet der Konsens der beiden Parteien auch schon. Obwohl sie 2017 noch Seite an Seite für eine grosse Reform von AHV und Pensionskasse gekämpft hatten, sind sie in dieser Frage nun Gegner.
Die Mitte nimmt für sich in Anspruch, den Kompromiss gesucht und gefunden zu haben. «Bei der AHV-Vorlage haben wir dafür gesorgt, dass es eine sozial ausgewogene Vorlage ist und es ist unsere Aufgabe im Parlament, diesen Ausgleich zu fördern», so Pfister.
Die Lösung der Mitte bei der AHV mit höherem Rentenalter für die Frauen, welches sozial abgefedert wird, eint zwar das bürgerliche Lager inklusive der Grünliberalen, von Links kommt jedoch Opposition. Die SP und Gewerkschaften beginnen in diesen Tagen mit der Unterschriftensammlung für das Referendum, das zweifellos zustande kommen wird.
Die Linke wehrt sich gegen ein höheres Frauenrentenalter, auch weil sie darin nur den ersten Schritt für eine generelle Anhebung auf 66 oder noch älter sieht. «Das ist für uns keine Kompromiss-Vorlage. Hier haben sich die Bürgerlichen unter dem Druck der Banken und Versicherungen durchgesetzt», so Wermuth.
Wermuth: Rechtsruck bei den Bürgerlichen
Für Wermuth rückt der gesamte Bürgerblock nach rechts. Das sehe man auch bei der geplanten Reform der Pensionskassen und bei den Steuervorlagen wie jener zur Abschaffung der Stempelsteuern. SVP, FDP und Mitte hätten einen neuen Klassenkampf begonnen, so Wermuth.
«Die SVP gibt den Takt vor, wo es hinzugehen hat, und der Freisinn und die CVP folgen mehr oder weniger bedingungslos. Da ist von einer gestaltenden Mitte mit sozialer Verantwortung wenig übrig geblieben seit dem Namenswechsel», so Wermuth weiter.
Die SVP gibt den Takt vor, wo es hinzugehen hat, und der Freisinn und die CVP folgen mehr oder weniger bedingungslos.
Mitte beteuert, nach rechts und links kompromissfähig zu sein
Die Analyse von Pfister fällt anders aus. Seine Partei sei nicht nach rechts gerückt. Bei der AHV sei man vielmehr Gegner der Linken, weil sich die SP hier von einer Kompromiss- und Konsenspolitik verabschiedet habe, wofür Pfister SP-Co-Präsident Wermuth persönlich verantwortlich macht.
«Ich glaube, er hat einen grossen Fehler gemacht, indem er nicht gesehen hat, dass hier eine Chance ist, eine sozial ausgewogene Vorlage zu zimmern, sondern dass er hier sehr stark auf klassenkämpferische Rhetorik setzt.» Womit Pfister den Klassenkampf Vorwurf nach links zurückspielt.
Die Mitte beteuert zwar auch in Zukunft, nach rechts und links kompromissfähig zu sein, die SP aber erkennt keine ausgestreckte Hand und sieht sich gezwungen, in der Sozial- und Finanzpolitik vermehrt Referenden und Initiativen zu ergreifen. Der Auftakt zum politischen Jahr 2022 hat gezeigt: Der traditionelle Graben zwischen Bürgerlichen und Linken wird grösser.