Als Avenergy, der Verband der Erdölimporteure, kürzlich ein Heft über das Treibhausgas CO2 veröffentlichte, waren ein paar Fehler drin. Fehler, die die Ansicht unterstützen könnten, das Verbrennen von Öl und Benzin sei fürs Klima nicht gar so schädlich.
Zum Beispiel zeigte eine Grafik die CO2-Emissionen in der Schweiz: jene aus der Landwirtschaft, jene der Industrie, jene der Kehrichtverbrennung. Aber jene aus Heizungen und Verkehr fehlten. Klimaforscher Reto Knutti machte auf Twitter auf diesen und weitere Fehler in dem Heft aufmerksam.
Je älter, desto mutiger?
Knutti sagt dazu: «Das ist eine schlichte Analyse. Wissenschaft ist gnadenlos, insbesondere die Physik. Mit der Physik kann man nicht verhandeln.» Vielleicht werde man, wenn man älter werde, auch etwas mutiger und könne leichter sagen, diese Aussage ist falsch, diese ist irreführend und da werden Zahlen unterschlagen.
Knutti ist 47 Jahre alt, hat beim bekannten Klimaforscher Thomas Stocker doktoriert und ist seit Jahren selbst ein renommierter Wissenschaftler. Er war Mitautor einiger Berichte des Weltklimarats, und in diesem Rahmen hatte er immer wieder mit der Politik zu tun.
Gesellschaft und Politik sind häufig nicht in der Lage, die Daten einzuordnen.
Aber als Kommunikator wurde er nicht geboren: «Ich habe von Thomas Stocker vermittelt bekommen, dass sich die Wissenschaft nicht in die Politik einmischt. Wir liefern die Zahlen und die Politik entscheidet. Aber ich habe gemerkt, dass Politik und Gesellschaft häufig nicht fähig sind, die Daten einzuordnen, wenn sie niemanden haben, der ihnen sagt, wie sie zu interpretieren sind und wie man darauf reagieren könnte.»
Forderungen vermeiden
Manche Politikerinnen und Politiker stören sich an diesem Kommunikationsverständnis. Sie fordern, die Wissenschaft solle nur nackte Ergebnisse liefern, sonst beeinflussten sie die Gesellschaft nicht aufgrund der Fakten, sondern aufgrund ihrer persönlichen Ansichten.
Knutti findet, Einordnungen ohne übermässige Färbung seien möglich, etwa indem man mit Szenarien aufzeige, welche Folgen politische Entscheide haben würden. Aber er gibt zu, dass dies manchmal eine Gratwanderung sei.
Wo für ihn die Grenze verläuft, verdeutlicht ein Brief, den Professorinnen und Professoren an die Pensionskasse des Bundes geschrieben haben. Sie forderten darin, die Kasse solle nicht mehr in die fossile Branche investieren. «Ich fand, der Brief ging relativ weit, weil es eine explizite Forderung war. Das muss man zu vermeiden versuchen», so Knutti.
Der jüngste Brief von Klimaforscherinnen und -forschern zur Unterstützung des CO2-Gesetzes sei aber etwas anderes. Man fordere keine konkreten Massnahmen. Man sage nur: Die Fakten zeigen, dass wir nun handeln müssten. «Weil die Ziele schon bestimmt sind, sehe ich das nicht als Forderung, sondern als logische Konsequenz der Entscheide, die schon gefällt worden sind.»
Kein Tabubruch
Knutti sieht in diesem Brief auch keinen Tabubruch, wie es in manchen Medien hiess. Die Wissenschaft habe sich schon früher zu Wort gemeldet. Und manche Entwicklungen machten dies dringender denn je: «Politik und Gesellschaft haben sich verändert. Es ist plötzlich salonfähig, zu lügen. Nach dem Motto: ‹Anything goes›. Man kann alles tun, was man will, solange es den eigenen Interessen nützt.»
So wird sich Knutti auch weiterhin zu Wort melden, auf Twitter, in den Medien, und mit Vorträgen in Unternehmen und Schulen, die sich zahlreich bei ihm melden. Dies zeige doch, sagt Knutti, dass die Menschen wollten, dass sich die Forscherinnen und Forscher direkt an sie wendeten.