- Seit zwei Jahren lebt eine Wisentherde im Solothurner Thal.
- Das Projekt Wisent Thal untersucht, ob der im Mittelalter ausgerottete Wisent heute als Wildtier im Jura tragbar ist.
- Die Herde ist von anfangs fünf auf aktuell zehn Tiere angewachsen. Damit die Tiere nicht durch Inzucht degenerieren, werden bald Jungtiere abgeschossen.
Als die Wisentherde im Herbst vor zwei Jahren im Solothurner Thal ankam, bestand sie aus einem Stier, drei Kühen und einem Kalb, das vom Stier der Herde abstammt. Unterdessen hat sich die Herde verdoppelt. Eigentlich ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass sich die Herde im Thal wohlfühlt. Doch das Wachstum bringt auch Probleme mit sich.
Töten, um die Art zu schützen
Projektleiter Otto Holzgang sagt: «Um Artenschutz zu betreiben, muss man auch Tiere herausnehmen können.» Herausnehmen heisse in der Regel töten, so Holzgang. Konkret soll demnächst ein junger Stier abgeschossen werden.
Das wäre dann effektiv Inzucht.
Doch der Reihe nach. Da das Kalb, welches vor zwei Jahren in den Naturpark gebracht wurde, nun demnächst ins fortpflanzungsfähige Alter komme, bestehe die Gefahr, dass dieses nächste Jahr ein Jungtier austragen könnte, bei dem erneut derselbe Stier der Vater sei. «Das wäre dann effektiv Inzucht», so Holzgang.
Die Folgen wären zum Beispiel eine genetische Degeneration, Krankheiten oder Missbildungen. Um Inzucht zu verhindern, ist es bei Artenschutzprojekten wie Wisent Thal üblich, dass einzelne Tiere getötet werden. Das würde in diesem Fall auch mit jenem Jungtier geschehen.
Doch nicht nur Inzucht könnte beim Projekt Wisent Thal zum Problem werden, auch die natürliche Rangordnung birgt Konfliktpotential. Im letzten Jahr ist ein junger Stier zur Welt gekommen. In der freien Natur würde dieser nun weiterziehen und sich seine eigene Herde suchen, um dort den Stier zu verdrängen und sich mit den Kühen zu paaren.
«Eingriff» im Verlauf des nächsten Jahres
Im solothurnischen Wisentgehege funktioniert dies natürlich nicht, eine andere Herde gibt es nicht. Der Jungstier würde zwangsläufig in seiner Herde bleiben und versuchen, sich mit seinen Schwestern oder Tanten zu paaren. Dies wiederum würde der Leitstier nicht akzeptieren – und den jungen Stier töten. Dies gelte es zu verhindern.
Projektleiter Otto Holzgang sagt: «Wir rechnen damit, dass wir bereits im Verlauf des nächsten Jahres ein erstes Mal in die Herde eingreifen müssen.» Bei einer Futterstelle soll der junge Stier abgeschossen werden. «Das Tier merkt eigentlich nichts davon.» Die nötigen Abklärungen, um ein Wisent zu schiessen, habe die Projektleitung bereits gemacht. Nach dem Tod soll das Tier verwertet werden. Das Fleisch wird gegessen, Fell und Schädel will die Projektleitung behalten.
Das Schicksal des jungen Stiers ist noch nicht komplett besiegelt. Man versuche, das Tier in einen Zoo oder einen Wildtierpark überführen zu können. Die Chancen, einen Platz zu finden, seien aber sehr klein, so Holzgang.
Gegner sprechen von «künstlichem Projekt»
Das Wisent-Projekt war im Kanton Solothurn sehr umstritten. Geschäftsführer des kantonalen Bauernverbands Edgar Kupper hatte sich privat und beruflich gegen die Ansiedlung gewehrt. Er sagt dazu: «Wir haben immer darauf hingewiesen, dass dies ein sehr künstliches Projekt ist. Diese Auswilderung ist ein No-Go.»
Dass der Bestand aufwendig reguliert werden müsse, sei klar gewesen. Auch bei der Nutztierhaltung sei es üblich, Stiere nach zwei oder drei Jahren auszuwechseln.