Partys, Konzerte und Clubs – aber auch Kontaktbars und Bordelle an praktisch jeder Strassenecke: Die Zürcher Langstrasse ist die Ausgehmeile im Herzen der Stadt und gleichzeitig das grösste Rotlichtviertel. Nur: Der Strassenstrich ist bis jetzt illegal. Werben Sexarbeiterinnen auf der Strasse Freier an, machen sie sich strafbar und werden gebüsst.
Das soll sich ändern: Eine Mehrheit im Zürcher Stadtparlament will die Strassenprostitution an der Langstrasse legalisieren. Das hat das Parlament am Mittwochabend beschlossen. Die Frauen, so das Argument, seien dann besser geschützt.
Dieser Argumentation folgen nicht alle. Zum Beispiel Olivia Frei, Geschäftsführerin der Zürcher Frauenzentrale. Kurzfristig könne eine Legalisierung zwar den Druck bei den Frauen reduzieren, langfristig sei es aber nicht sinnvoll: «2013 wurde der Strassenstrich am Sihlquai aufgehoben, weil er für die Bevölkerung untragbar war. Was hat sich denn seither geändert, dass es jetzt plötzlich zumutbar ist?»
Olivia Frei befürchtet auch, dass die Legalisierung an der Langstrasse eine Sogwirkung nach sich ziehen könnte – mit allen negativen Begleiterscheinungen wie mehr Gewalt, mehr Lärm, schliesslich auch wieder mehr Druck für die Frauen, die sich alle um dieselben Freier bemühten. «Die Situation wird sich für die Frauen langfristig wieder verschärfen.»
Warum ist ein Strassenstrich jetzt plötzlich zumutbar für die Bevölkerung?
Ihr Fazit: «Die ganze Prostitutionspolitik ist überhaupt nicht visionär.» Die Ausbeutung in der Prostitution werde einfach so hingenommen. Man versuche, mit Pflästerli zu regulieren. «Es ist einfach ein Pflästerli mehr, das am grossen Ganzen nichts ändert und die Situation der Frauen langfristig nicht verbessert», so Frei.
Ihrer Meinung nach müsste die Schweiz analog dem «nordischen Modell» vorgehen. Dieses sieht unter anderem vor, dass Freier gebüsst werden, die an unerlaubten Orten mit Prostituierten anbandeln und nicht die Prostituierten selbst. «Diesen Spielraum hätte man auch an der Langstrasse, ohne gleich das ganze Modell einzuführen.»
Doch auch unter Frauenorganisationen ist diese Sichtweise umstritten. Für Lelia Hunziker, Geschäftsführerin von der FIZ, Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration, ist es wichtig, zunächst die Frauen aus der Illegalität zu holen. «Ihre Situation verbessert sich, denn sie sind nicht dem ewigen Kontrolldruck ausgesetzt». Die Frauen könnten dann auch besser Kontakt aufnehmen und sich von Beratungsstellen helfen lassen.
Die Situation für die Frauen verbessert sich.
Als 2013 der Strassenstrich am Sihlquai geschlossen worden sei, habe man zwar andere Zonen für den Strassenstrich bestimmt, aber nicht an der Langstrasse. «Man hat versucht, die Sexarbeit aus der Langstrasse zu verbannen, das hat nicht funktioniert, auch nicht mit Repression.» Die Sexarbeit dort sei eine Realität, es sei richtig, dass die Politik eine Lösung suche. Der Entscheid am Mittwoch habe dazu eine Türe aufgemacht.
Etwas fatalistischer sehen es Gewerbetreibende wie Sigi Huber, er ist auch Präsident des Gewerbevereins im Kreis 4. Er glaubt, die Legalisierung des Strassenstrichs an der Langstrasse werde keine grosse Auswirkung haben auf das Quartier. «Wir hatten in den letzten Jahren schon einen grossen Strassenstrich.»
Dass die Szene noch belebter würde, wenn der Strassenstrich legal wird, bereitet ihm keine Sorgen. Prostitution und Strassenstrich, meint er, gehörten einfach zur Langstrasse. «Es ist seit Jahrzehnten so – es war schon immer so.»