- Die zweite Corona-Welle hat die Unsicherheit in der Bevölkerung zusätzlich verstärkt.
- Das schlägt auf die Psyche – weshalb die wissenschaftliche Covid-Task-Force auch für die psychiatrischen Angebote eine vorausschauende Planung angeregt hat.
- Doch die Folgen von Corona haben die psychiatrischen Kliniken in der Schweiz längst erreicht.
Ortstermin beim Universitären Psychiatrischen Dienste Bern. Der über 150-jährige Bau am Rand von Bern strahlt Ruhe aus. Drinnen riecht es einladend nach Orangen.
Eine Tagesstruktur, die Halt gibt
Stephan Witjes führt durch diesen Teil der Tagesklinik. Seit fünf Jahren sei man in diesem Gebäude, sagt er. «Wir sind wahnsinnig froh, weil wir hier viel Platz und Möglichkeiten haben, die Patienten zu betreuen.» Ein Vorteil in Zeiten der Distanz-Regeln.
Der Psychiatrie-Pflegefachmann leitet die Pflege hier, wo täglich etwa 20 Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen Ateliers besuchen und gemeinsam essen, bevor sie wieder nach Hause gehen. Eine Tagesstruktur, zu der auch gemeinsames Essen beinhaltet, gibt Halt.
Warteliste von Menschen, die auf Behandlung warten
Nach dem Improvisieren in der ersten Pandemie-Welle seien die Abläufe nun gut eingespielt, auch das Maskentragen sei kein Problem, sagt Witjes.
Allerdings sei es nicht gelungen, zu verhindern, dass die Warteliste immer länger werde. «Man sieht das auch bei den Praxen von niedergelassenen Psychiatern und Psychologen. Sie sind völlig ausgebucht.»
Um die Warteliste abzubauen, müssten sie doppelt so viele Menschen aufnehmen können. Und wer keine Behandlung erhält, läuft Gefahr, dass sich der Zustand verschlechtert. Angststörungen, Depressionen, Psychosen, Suchterkrankungen – es geht um die ganze Palette psychischer Probleme.
Die Pandemie-Situation verstärkt die Probleme
Witjes' Kollegin Nicole Lenz von der Tagesklinik Psychotherapie stellt fest: «Unsere Patienten sind noch viel verunsicherter als vorher. Mit sich selber, mit der Gesellschaft. Ihre Grundprobleme werden verstärkt.» Ihr Team betreut die Menschen gezielt und intensiv.
Doch das Coronavirus schränkt verschiedene Therapieformen ein. So sind etwa Körperkontakte nicht möglich: «Die Kunst- und die Körpertherapie müssen sich ein bisschen neu erfinden», sagt Lenz deshalb.
Sorgenvoller Blick in die Zukunft
Nicht nur fachlich ist Flexibilität gefragt, auch beim Planen. Denn bei personellen Engpässen helfe man aus, sagt Lenz. Manchmal entstünden die Tages-Dienstpläne erst am betreffenden Morgen.
Zwar läuft der angepasste Klinikalltag, doch blicken die beiden Pflege-Fachleute in Bern sorgenvoll in die Zukunft: Beim Psychiatrischen Notfall melden sich zurzeit rund ein Drittel mehr Menschen als üblich. Darunter sind auch solche, die ihren Halt unter Corona verloren haben.