«Wenn man fixiert ist, fühlt man sich wahnsinnig ausgeliefert und hilflos», erzählt eine betroffene Person, die im Psychiatriezentrum Münsingen behandelt wurde und über Wochen jede Nacht mit einer sogenannten Fünf-Punkte-Fixierung ans Bett gefesselt worden sein soll. «Ich bin in der Nacht regelmässig aufgewacht und habe Panik gehabt», sagt die Person, die anonym bleiben möchte. Sie sei an den Hand- und Fussgelenken fixiert worden. Um die Hüfte und Oberschenkel habe sie eine Art «Klettergstältli» erhalten, «damit man nicht herausrutschen kann». Sie leide noch heute darunter.
Solche Fixierungen gehören zu Zwangsmassnahmen, die laut Zivilgesetzbuch nur angewendet werden dürfen, wenn weniger einschränkende Massnahmen nicht ausreichen.
In der Klinik für Depression und Angst des Psychiatriezentrum Münsingen PZM sollen freiheitsbeschränkende Massnahmen jedoch keine Einzelfälle sein. In Münsingen seien Patientinnen und Patienten regelmässig, vorsorglich und systematisch so behandelt worden, lauten die Vorwürfe, die von Patienten und Angestellten gemacht werden. Mit den Zwangsmassnahmen würden Patientinnen und Patienten präventiv ruhig gestellt.
SRF liegen zudem Patientenakten, interne Dokumente der Klinik sowie Gerichtsakten aus den Jahren 2021 bis 2022 vor, die die Anordnung vorsorglicher Zwangsmassnahmen belegen.
Fixierung aus Personalmangel?
Übereinstimmend sagen mehrere Ärztinnen und Ärzte und Mitarbeitende aus der Pflege: seit 2017 habe man immer mehr solche Zwangsmassnahmen angewendet – auch aus Mangel an Personal.
Es ist praktisch, Leute zu fixieren.
Patienten einzeln zu betreuen und zu überwachen, sei nicht mehr möglich gewesen, weshalb vermehrt zur Isolation oder Fixierung gegriffen worden sei: «Es ist praktisch, Leute zu fixieren. Bei Personalmangel macht man dies eher, damit man die Situation bewältigen kann», sagt anonym eine ehemalige angestellte Person.
Auch für die Mitarbeitenden seien dies belastende Situationen gewesen. Je mehr Patienten fixiert worden seien, desto aggressiver seien andere geworden. Das Personal sei dadurch noch überforderter gewesen, einige hätten gekündigt. Ein Teufelskreis, heisst es von Angestellten. Man habe sich mehrmals an die Direktion gewandt, passiert sei wenig bis nichts. Im Gegenteil: Die Hemmschwelle der Fixierung sei weiter gesunken. Fachpersonen zeigen sich auf Anfrage entrüstet über die Vorwürfe.
Was sagt das Psychiatriezentrum?
Vom PZM nimmt der Klinikdirektor Ivo Spicher schriftlich Stellung: «Als offene psychiatrische Klinik setzen wir alles daran, freiheitsbeschränkende Massnahmen zu vermeiden und deren Anzahl zu reduzieren.» Das Wohl der Patientinnen und Patienten stehe im Zentrum.
Wir halten uns strikt an die gesetzlichen Vorgaben.
«Dennoch ist es leider selbst in der modernen Psychiatrie so, dass sich freiheitsbeschränkende Massnahmen nicht in jedem Fall vermeiden lassen», heisst es weiter. Es gehe darum, alle Patientinnen und Patienten und Mitarbeitenden für eine begrenzte Zeit gezielt zu schützen.
Diese Massnahmen würden nur einen Bruchteil der 3100 Patienten pro Jahr betreffen. «Am PZM halten wir uns dabei strikt an die gesetzlichen Vorgaben sowie Empfehlungen und Richtlinien der schweizerischen Fachverbände. Etwas anderes wird bei uns nicht toleriert.» Das PZM sei kein Spezialfall, sondern müsse im Schnitt tendenziell seltener derartige Massnahmen anwenden als andere Kliniken, zeigten die jährlichen Erhebungen des Vereins für die Qualitätsentwicklung.
Auf den Vorwurf, das PZM fixiere Patienten präventiv aus Personalmangel, gab es keine Antwort.