- Das Bettelverbot im Kanton Genf wird bis auf Weiteres ausser Kraft gesetzt.
- Die Genfer Justiz reagiert damit auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
Der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot hat veranlasst, dass das Bettelverbot nicht weiter angewendet wird. Die Polizei soll bettelnde Menschen vorerst nicht juristisch verfolgen. Der Sprecher der Genfer Justiz, Olivier Francey, bestätigte am Dienstag einen entsprechenden Bericht der Tageszeitung «Tribune de Genève».
Dieser Entscheid kommt nur zehn Tage nachdem der EGMR in Strassburg zum Schluss kam, dass die Schweiz mit der Verurteilung einer rumänischen Roma wegen Bettelns gegen den Kerngehalt des Rechts auf Achtung des Privatlebens verstossen hatte.
Die 22-jährige Frau war 2014 wegen Bettelns auf der Strasse in Genf zu einer Busse von 500 Franken verurteilt worden. Der aus sehr armen Verhältnissen stammenden Analphabetin wurden innerhalb von drei Jahren neun Verstösse gegen das Genfer Bettelverbot vorgeworfen. Mit dem erbettelten Geld deckte sie die wichtigsten Lebensbedürfnisse.
EGMR: Kein grundlegendes öffentliches Interesse
Der Gerichtshof erachtet die Bestrafung der Frau als eine schwerwiegende Sanktion. Weil sie die Busse nicht bezahlen konnte, musste sie als Ersatzstrafe fünf Tage ins Gefängnis. Nach Ansicht des EMGR muss eine solche Massnahme durch ein grundlegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein, was vorliegend nicht der Fall sei. Das generelle Bettelverbot verhindere eine Interessenabwägung im Einzelfall.
In Genf gibt es das Gesetz zum Bettelverbot seit 2008. Der heutige Generalstaatsanwalt Jornot gehörte damals als Parlamentsmitglied zu den glühenden Verfechtern des Gesetzes.
Nach der Verurteilung durch die Strassburger Richter wendet sich die Genfer Staatsanwaltschaft an die politischen Instanzen. «Es liegt an ihnen, ob sie das Bettelverbot aufheben oder modifizieren wollen, indem sie zum Beispiel die Bestrafung auf bestimmte Verhaltensweisen (aggressives Betteln, Betteln mit Kindern) oder an bestimmten Orten (bei Geldautomaten) beschränken», wird Jornot in der Zeitung zitiert.