Sie blockieren Autobahnen, legen Innenstädte lahm, ketten sich an Gebäude oder stören Sportveranstaltungen: alles im Namen des Klimas.
Für Behörden und den Justizapparat bedeuten die Aktionen und Demos von Klimaaktivistinnen- und Aktivsten einen erheblichen Mehraufwand. Die Polizei muss häufig mit einem Grossaufgebot vor Ort sein, nicht selten kommt es zu Festnahmen, die wiederum ein juristisches Nachspiel nach sich ziehen.
In diesem Kontext sorgen nun die Aussagen eines Zürcher Bezirksrichters für Aufsehen. Im Rahmen einer Verhandlung verkündete dieser jüngst, künftig keine Verurteilungen mehr in Fällen von zivilem Ungehorsam von Klimaaktivistinnen- und Aktivsten auszusprechen. Gleichzeitig sprach er eine Frau, die wegen Nötigung angeklagt war, frei.
Darf ein Richter so entscheiden?
Auf der Anklagebank sass im Zürcher Fall die 46-jährige Nicole Gianoli-Masson. Sie war Teil der Gruppe, die im letzten Oktober unter anderem mit Sitzblockaden erhebliche Verkehrsverzögerungen in der Zürcher Innenstadt verursachte. Die Kosten für den Polizeieinsatz an jenem Tag beliefen sich auf mehrere Hunderttausend Franken.
Hinter dem Protest stand die Gruppe «Exctinction Rebellion». Deren Anhängerinnen und Anhänger zeichnen sich durch besonders unnachgiebigen zivilen Ungehorsam aus. Aussagen der Gruppe, wonach sie die Infrastruktur in hiesigen Städten lahmlegen würde, sollte die Regierung nicht handeln, haben die Bundesanwaltschaft dazu veranlasst, ein Verfahren einzuleiten.
Vor Gericht hatte Gianoli-Masson aus ihrem Frust über die klimapolitische Passivität der Schweiz denn auch keinen Hehl gemacht, wie die Onlinezeitung «Republik» aus der Verhandlung berichtete. Umso grösser die Überraschung, als es zum Freispruch kam. Gianoli-Masson: «Ich bekam Hühnerhaut. Es war das Zeichen: Es bewegt sich was.»
«Uns läuft die Zeit davon»
In seinem Urteil bezog sich der Richter unter anderem auf die Versammlungsfreiheit und Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jeder habe das Recht, gewaltfrei zu demonstrieren. Im vorliegenden Fall habe es sich um eine Blockade von einer halben Stunde gehandelt. Eine derartige Nutzung des öffentlichen Bodens sei hinzunehmen.
Ein solches Urteil untergräbt das Vertrauen in die Justiz.
Das Bezirksgericht wollte sich gegenüber SRF nicht zum Fall äussern. Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft heisst es einzig: «Verfahrens- und Kommunikationshoheit liegen in diesen Fällen beim Gericht.» Wie Dr. Stephan Schlegel von der Universität Basel gegenüber SRF bestätigt, agierte der Richter aber innerhalb seines juristischen Spielraumes.
Nicht so sieht dies Nationalrätin und Juristin Barbara Steinemann (ZH). Sie kritisiert den Entscheid. «Ein solches Urteil untergräbt das Vertrauen in die Justiz und führt zu Leerläufen. Die Staatsanwaltschaft wird gezwungen, die nächste Instanz aufzurufen, wo das Recht dann korrekt angewendet wird.» Die Äusserungen des Richters seien klar politisch und hätten nichts im Gerichtsaal zu suchen.
Im linken Lager hingegen gibt man sich verhalten optimistisch. So sagt die Zürcher SP-Gemeinderätin Nadina Diday zum Fall: «Es ist ein wichtiges Signal, dass in der Rechtssprechung die Erkenntnis gereift ist, dass uns die Zeit davon läuft.»
Ob es nun aber zur grossen Zeitenwende in der Rechtssprechung kommt, bleibt abzuwarten. So merkt Strafrechtsexperte Schlegel an: «Die Absolutheit der Aussagen des betreffenden Richters, künftig ganz von Verurteilungen in solchen Fällen abzusehen, hat mich überrascht.»
Bis zum nächsten Fall dürfte denn auch nicht viel Zeit vergehen. Heute Freitag haben Klimaaktivisten unter dem Hashtag #Zuheiss wieder in mehreren Schweizer Städten demonstriert – auch in Zürich.