In Genf stehen die Parteien vor dem zweiten Wahlgang für die Regierung am nächsten Sonntag unter Hochspannung. Bei den diesjährigen Genfer Wahlen mischt vor allem eine Kandidatur die Karten neu: jene von Pierre Maudet, dem früheren Staatsrat und Bundesratskandidaten.
Er eroberte mit seiner neuen Bewegung «Libertés et Justice sociale» auf Anhieb zehn Sitze im 100-köpfigen Genfer Grossen Rat. Und landete im ersten Wahlgang auf dem sechsten Platz. Wer wählt den wegen Vorteilsannahme verurteilten Pierre Maudet weiterhin?
Nicht am Rand, sondern mitten im Saal
Pierre Maudet steht am Eingang und begrüsst seine Anhänger. Über 600 sind gekommen letzten Donnerstagabend, zur Wahlfeier. Der Saal ist in Disco-Licht getaucht, Partymusik berieselt die Gäste.
Maudet steht nicht auf der Bühne, sondern mitten im Saal. Hier schwört er die Gäste auf den zweiten Wahlgang am Sonntag ein – es sei erst die Hälfte des Weges geschafft.
31'315 Genferinnen und Genfer haben Maudet im ersten Wahlgang ihre Stimme gegeben. Trotz der Verurteilung wegen Vorteilsannahme nach der Reise nach Abu Dhabi. Einer von ihnen ist Jacques Hämmerli. Er war früher bei den Freisinnigen, bevor diese mit den Liberalen zur heutigen FDP fusioniert wurden. Jetzt vertrete Maudet den alten Freisinn, sagt er. Und: Er habe Maudet verziehen, so der 79-Jährige.
Vanessa da Rocha ist jünger. Aber auch sie gibt Maudet eine zweite Chance. In der Politik könne man sich auch wieder aufrappeln. Und mit seiner neuen Bewegung vertrete Maudet das Volk.
Zu Scherzen aufgelegt
Maudet unternimmt in seiner Rede alles, dass «Libertés et Justice sociale» als Bewegung gesehen wird, nicht als One-Man-Show. Und er macht Witze: Über Winzer, die «pots-de-vin» geliefert hätten. Das heisst wortwörtlich auf Deutsch übersetzt eine Karaffe Wein, bedeutet aber Schmiergeld. Eine Anspielung auf die Reise nach Abu Dhabi.
Neun Männer und eine Frau wurden für die Bewegung ins Kantonsparlament gewählt. Einer davon ist Laurent Seydoux. Er war früher Mitgründer der Grünliberalen in Genf. Diese verliess er aber für die neue Bewegung. Weil er von Maudets Qualitäten, von dessen «Leadership», überzeugt ist. In sechs Monaten so eine Bewegung stemmen, das könne nur Maudet.
Die Konkurrenz schläft nicht
Ob es indes im zweiten Wahlgang für den Wiedereinzug in die Regierung reicht, ist offen. Denn die Konkurrenz hat sich neu formiert: Schon vor den Wahlen haben sich die SP und die Grünen zusammengeschlossen. Nach dem ersten Wahlgang sind nun auch die Mitte-Partei, die FDP, die SVP und das «Mouvement Citoyens Genevois» MCG einen Schulterschluss eingegangen.
Eigentlich machen die Allianzen links und rechts Maudet einen Strich durch die Rechnung. Vor allem rechts zeigen sich aber Risse. Nicht alle sind einverstanden mit dem bürgerlichen Schulterschluss. Auch von einem Wirtschaftsverband wird Maudet nach wie vor unterstützt.
Dass Maudet dennoch Chancen hat, das zeigt sich gut bei Marie-Claire Messerli. Sie ist FDP-Mitglied, unterstützt aber Maudet. Obwohl dieser auch Fehler begangen habe, arrogant gewesen sei nach der verpassten Wahl in den Bundesrat. Heute gehe er auf die Bürgerinnen und Bürger zu, und das komme an.
Dass ihn so viele Menschen unterstützen nach der Affäre, das bedeutet Maudet viel: «Es ist eine Art Rehabilitierung: Man kann sich irren. Man wird bestraft. Und man erhält eine zweite Chance», sagt er nach dem Wahlanlass im Interview. Am Sonntag entscheidet sich, ob er diese zweite Chance wirklich erhält.