Was hat die Revision der Jagdverordnung zum Ziel? Derzeit bewegen sich 32 Wolfsrudel in der Schweiz. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) will mit einer Verordnungsrevision ermöglichen, dass der Bestand auf zwölf Rudel reduziert werden kann. Die Abschüsse der Rudel wären dann präventiv möglich, ohne dass die Wölfe Nutztiere wie Schafe oder Rinder gerissen haben. Die Jagdverordnung will das Bafu per 1. Dezember anpassen. Ab dann könnten die überzähligen Rudel als Ganzes erlegt werden. Das neue Regime sorgt für Kritik von Naturschutzorganisationen.
Das sagen die Naturschutzorganisationen: Pro Natura, WWF und die Gruppe Wolf Schweiz befürchten eine «massive Dezimierung» des Wolfsbestandes. «Eine geschützte Tierart soll jetzt nach willkürlichen Quoten dezimiert werden. Und auch Rudel, die nie Probleme verursacht haben, sollen weggeschossen werden», sagt Sarah Wehrli von Pro Natura. Aus Sicht der Organisationen widersprechen die Pläne dem Gesetz und der Verfassung. Konkret geht es um das Jagdgesetz, welches das Parlament im vergangenen Jahr abgesegnet hat.
Kritik auch aus den Kantonen: Bei dem Schwellenwert von zwölf Rudeln dürfte der Fortbestand des Wolfes in der Schweiz nicht gewährleistet sein, heisst es in der Stellungnahme der kantonalen Konferenz für Wald, Tiere und Landschaft (KWL) – also die Konferenz der zuständigen Regierungsräte. Der Schwellenwert entspreche «weder den wissenschaftlichen Artenschutzüberlegungen der Berner Konvention bzw. der Alpenkonvention, noch den bisherigen Ausführungen des Bundesrates.» Deshalb befürchten die Kantone, dass präventive Abschüsse vor Gericht wenig Chancen hätten.
Positive Reaktion aus Bergkantonen: Die zuständige Bündner Regierungsrätin Carmelia Maissen begrüsst die geplante Revision der Jagdverordnung. «Gebirgskantone sind stark betroffen vom stark wachsenden Wolfsbestand und für uns ist die proaktive Regulierung etwas sehr Wichtiges», sagt sie. Es gehe darum, dass Menschen, Nutztiere und die Wölfe koexistieren könnten. Auch der Walliser Staatsrat Frédéric Favre befürwortet, die Zahl der Wolfsrudel stark zu reduzieren. «Wir haben wahrscheinlich über 100 Wölfe im Wallis. Das ist viel zu viel und gefährlich», sagt er.
Das sagt der Experte: Luigi Boitani, Professor für Zoologie an der Universität La Sapienza in Rom, beschäftigt sich seit 50 Jahren mit Wölfen. Er hält den Abschuss von ganzen Wolfsrudeln für sinnlos und zudem schwierig umsetzbar. «Das würde viel Geld kosten. Wahrscheinlich müssten auch Helikopter eingesetzt werden.» Boitani räumt ein, dass Wölfe für Nutztiere ein echtes Problem seien. «Aber es gibt viele Methoden, um Angriffe auf ein sehr geringes Mass zu reduzieren.» Konkret könnten die Tiere eingezäunt oder mit Hunden geschützt werden.
Was tut die Schweiz, um Nutztiere zu schützen? Der Schutz von Nutztieren in der Landwirtschaft ist bereits in Art. 12 im Jagdgesetz geregelt und Sache der Kantone. Der Bund beteiligt sich aber auch finanziell an Massnahmen und unterstützt etwa die Ausbildung von Herdenschutzhunden oder den Einsatz von Elektrozäunen. Laut der Gruppe Wolf Schweiz gab es im ersten Halbjahr 2023 weniger Risse von Nutztieren als in derselben Periode im Vorjahr. Grund dafür sieht die Gruppe im verbesserten Herdenschutz.