Simonetta Sommaruga hat sich zur Lage in Como geäussert. Dort sind viele Flüchtlinge und Migranten gestrandet. Es sei schwer erträglich, solche Zustände zu sehen, sagte die Justizministerin in Bern. «Solche Zustände darf es in Europa nicht mehr geben».
Gleichzeitig betonte sie, dass die Asylsuchenden das Recht auf ein Asylverfahren in Italien oder in der Schweiz hätten. Was im Dublin-System aber nicht vorgesehen sei: dass die Asylsuchenden selber auswählen könnten, in welchem Land sie ein Asylverfahren wollten.
Rückweisungen gemäss Dublin-Abkommen
Die Situation in Como hat laut Sommaruga damit zu tun, dass viele Migranten nach Nordeuropa oder nach Deutschland weiterreisen wollen. Die Schweiz wolle aber kein Transitstaat werden. Zum einen würde damit Dublin ausgehebelt. Zum anderen könnte die Schweiz das gegenüber Deutschland nicht rechtfertigen.
Hinzu komme der Sicherheitsaspekt: «Wir müssen wissen, wer sich in unserem Land befindet.» Deshalb würden ankommende Personen in der Schweiz registriert. Seien sie in Italien bereits registriert worden oder wollten sie in der Schweiz kein Asylgesuch stellen, würden sie gemäss dem Dublin-Abkommen nach Italien zurückgeschickt.
Deutschland weniger strikt und schnell
Verändert hat sich die Situation, weil die Registrierung in Italien viel besser funktioniert als noch im vergangenen Jahr. Inzwischen werden in den Hotspots bis zu 90 Prozent der Ankommenden registriert. Italien sei «ein zuverlässigerer Dublin-Partner» geworden, sagte Sommaruga dazu.
Weil Italien mehr Flüchtlinge registriert, kann die Schweiz auch mehr zurückschicken. Die Betroffenen wissen das und stellen deshalb kein Asylgesuch in der Schweiz.
Deutschland wendet das Dublin-System weniger wirksam an. Dublin-Fälle werden nicht prioritär behandelt, die Rechtswege sind länger und der Pendenzenberg ist hoch. Zudem werden etwa Eritreer oft als Flüchtlinge anerkannt, während in der Schweiz viele bloss vorläufig aufgenommen werden.
Europa braucht dauerhaften VerteilschlüsselDass Flüchtlinge in jenes Land reisen, wo sie die besten Chancen haben, kann aus Sommarugas Sicht aber nicht die Lösung sein. Die Situation in Como zeige leider auch, dass Europa nach wie vor keine überzeugenden Antworten habe auf die schwierigen Herausforderungen in dieser Flüchtlingskrise, sagte sie. Es fehlten europäische Standards.
Es brauche einen dauerhaften Verteilschlüssel. Alle Staaten müssten ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Diese beste Lösung werde sich wahrscheinlich nicht durchsetzen, sagte die Justizministerin. Sie hoffe aber, dass es bald wenigstens für Krisensituationen eine Verbesserung gebe.
Personenfreizügigkeit tritt auf der Stelle
Die EU müsse sich die Frage stellen, ob sie reformfähig sei. Und auch die Schweiz müsse Reformfähigkeit beweisen in den Beziehungen zur EU. Die Schweiz brauche klare, gute und stabile Beziehungen zur EU, sagte Sommaruga.
«Ich hoffe wirklich, dass es uns gelingt, die Weichen in diese Richtung schon bald zu stellen.» Zum Stand der Gespräche über die Personenfreizügigkeit verriet die Bundesrätin nichts Neues: Die Gespräche dauerten an, man suche nach wie vor eine einvernehmliche Lösung.
Keine Differenzen in der Bundesregierung
«Dass es wenig wahrscheinlich ist, dass wir die Quadratur des Zirkels aushandeln werden, ist auch nicht neu», stellte Sommaruga fest. Es wäre dies eine Lösung, welche die Bundesverfassung erfüllt und das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU nicht verletzt.
Spätestens seit der Brexit-Abstimmung wüssten ganz sicher alle, dass eine solche Lösung unwahrscheinlich sei – «zumindest alle in der Landesregierung», sagte Sommaruga. Es gebe deshalb auch «keine Differenz irgendwelcher Art» zwischen ihr und Aussenminister Didier Burkhalter.